Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Unser Projekt

Unser Projekt »Grauzonen - rechte 
(jugendliche) Lebenswelten«

Als Teil eines Netzwerkes antifaschistischer Gruppen und Initiativen beschäftigen sich Mitarbei­ter*innen der Agentur für soziale Perspektiven (ASP) seit nunmehr zwanzig Jahren mit sogenannten »rechten Jugendkulturen«.

In den 1990er Jahren war neonazistische Rockmusik, der sogenannte »Rechtsrock«, beherrschendes Thema, ab 2000 begannen wir mit unserer Broschüre »Versteckspiel – Lifestyle, Symbo­le und Codes von neonazistischen und extrem rechten Gruppen« die rechte Symbolwelt im Spiegel der Jugend- und Musikkulturen aufzuarbeiten. In Hunderten Veranstaltungen klärten wir und die Kol­leg*innen anderer Initiativen über diese Themen auf.

Seit einigen Jahren arbeiten wir in einem Projekt zu »Grau­zonen – rechte (jugendliche) Lebenswelten«, dessen Schwerpunkt die Beschäftigung mit bestimmten Milieus in Musikkulturen und im Sport ist.

Unser Projekt will die inhalt­lichen und strukturellen Schnittstellen zwischen extrem rechten, rechten und vermeintlich unpolitischen Szenen und Milieus ausarbeiten. Darin treten wir ­denen entgegen, die das gesellschaftliche Problem mit den »Rechten« auf offen auftretenden Neonazismus und Rechts­populismus zu reduzieren versuchen, und die eine oft sehr eingeschränkte Wahrnehmung von dem haben, was überhaupt politisch ist.

 

Die extreme Rechte ist kein monolithisches Gebilde, sie verfließt allzu oft mit dem, was eine breite Öffentlichkeit als »ganz normale Jugendliche« wahrnimmt. Sie transformiert sich, modernisiert sich und produziert sich immer wieder aufs Neue in unterschiedlichen kulturellen Mi­li­eus. Dies stellt uns mehr denn je vor die Fragen: Wo und ab wann müssen wir von extrem rechten Szenen reden? Wo und wie differenzieren wir zwischen dem, was wir als neonazistisch, extrem rechts oder eben »nur« rechts benennen? Und was macht es besser oder anders, wenn jemand glaubt, nicht rechts zu sein und dennoch Ideologien der Ungleichheit propagiert?

Ideologien der Ungleichheit sind Ausdruck einer Gesellschaft, die sich mehr über das Gegen­ein­ander denn über das Miteinander definiert. Dahinter steht ein System von Lebens- und Wertvorstellungen, die darauf an­gelegt sind, das gesellschaft­liche Miteinander zu hierarchisieren, Rollen zuzuweisen, »Wert« und »Unwert« des einzelnen Menschen festzulegen und über dessen Ein- und Ausschluss zu bestimmen – dies aufgrund äußerlicher Merkmale oder der (zu­gewiesenen) Zugehörigkeit zu einer (meist konstruierten) Gruppe.

Die Behauptung einer rechten »Unterwanderung« der Jugendkulturen haben wir nie geteilt. Damit verbunden sind das oft irreführende Schlagwort der »Wölfe im Schafspelz« und die Annahme, dass von »außen« kommende, »kulturfremde« Neonazis Jugendkulturen infiltrieren würden und nur rechtzeitig erkannt werden müssten. Das verstellt den Blick auf die Realität. Diese sieht so aus, dass in vielen Musik- und Alltagskulturen Ideologien der Ungleichheit zunehmend Akzeptanz erfahren, diesen mitunter immanent sind.

Die »Bekämpfung des Rechts­extremismus« hat in den vergangenen Jahren viele Konzep­te und Projekte entstehen lassen. Als wenig tiefenwirksam erweisen sich die, die sich ausschließlich am »Extremismus« – also an der vom Verfassungsschutz behaupteten Verfassungsfeindlichkeit – der auftretenden rechten Gruppen stören und darauf angelegt sind, diese zu entradikalisieren. Manche dieser Konzepte verlieren ihr Klientel aus dem Blickfeld (und dem Problemfeld), wenn sich diese vom organisierten Neonazismus abwenden, manches nicht mehr »so radikal« sehen und vermeintlich unpolitischen Musik- und Freizeitszenen zuwenden. Kurz: Wenn diese so werden, wie viele Andere auch, die sich selbst als »unpolitisch« und »ganz nor­mal« begreifen und als solche akzeptiert sind.

Doch Ideologien der Ungleichheit funktionieren auch – und sehr viel breitenwirksamer – ­ohne »White Power«-Parolen, ohne das Label der NPD und ohne brutale Hetzjagden. Sie wirken auch in Witzen, Anspielungen, Körpersprache, Fußballtransparenten und Musiktexten, die angeblich »gar nicht so gemeint« seien. Sie prägen öffentlichen Raum, sie so­zi­alisieren und ra­dikalisieren Teile der nächsten Generationen. Sie sind immer ein Affront gegen progressive gesellschaftliche Ideale wie Solidarität, Gleichheit und gleichberechtigte Teilhabe. Sie können sich niemals in einem politikfernen Raum bewegen, sondern müssen als das ­benannt und bekämpft werden, was sie sind: als rechts.

Ziel unseres Projektes ist, darüber aufzuklären und dafür zu sensibilisieren, wo und wie sich »rechte Lebenswelten« äußern und welche Gefahren von ihnen ausgehen. Auf der Grundlage einer umfassenden Materialsammlung und eines regen ­inhaltlichen Austausches mit unseren Projekt­partner*innen wollen wir Impulse für die antifaschistische Bildungsarbeit geben.

Ein Resultat unserer Arbeit ist der Bildungsordner "Grauzonen - rechte (jugendliche) Lebenswelten sowie die Broschüren zu Musik und Fußball (siehe Material)

Wir haben in unserem Projekt Fußballfan- und Musikkulturen betrachtet, uns bei der Musik auf die Genres des Deutschrock und Oi fokussiert und zudem Beispiele aus dem Gangsta-Rap herangezogen. Wir betonen, dass diese exemplarisch bearbeitet wurden. Sie stellen keine vollständige Betrachtung der Szenen und Genres dar, in denen sich rechte Einstellungen und Lebenswelten wiederfinden.

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Die Problemlagen

Die Problemlagen

Der Bambi-Medienpreis, ausgelobt vom Verlag Hubert Burda Media, ehrt alljährlich »Menschen mit Visionen und Kreativität, deren herausragende Erfolge und Leistungen sich im ablaufenden Jahr in den Medien widerspiegelten.« Preisträger in der Kategorie »Integration« im Jahr 2011 war der Berliner »Gangster-Rapper« Bushido. Mediale Aufmerksamkeit hatte dieser unter Anderem mit homophoben und frauenfeindlichen Texten und Äußerungen erreicht, die er allenfalls halbherzig zu relativieren versucht. Ins Bild des ausgezeichneten Leistungsträgers für Integration passt die Twitter-Meldung von Bushido im September 2013, in der er ankündigte, bei der bevorstehenden Bundestagswahl die Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen, eine Rechtspartei, die sich insbesondere mit sozialchauvinistischen Positionen profiliert.

Bushido vertritt Ideologien der Ungleichheit. Jedoch hat sich der Künstler, dessen Vater Tunesier ist, niemals rassistisch geäußert und tatsächlich zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Popkultur beigetragen. Muss er dennoch als Exponent einer »rechten Lebenswelt« benannt werden? Wer das pauschal ablehnt, läuft Gefahr, Ideologien der Ungleichheit unterschiedlich zu gewichten und gegeneinander auszuspielen – und das zu manifestieren, was im Gegensatz zu offenem Rassismus tief im gesellschaftlichen Mainstream verankert ist.

Im Jahr 2013 stieß die Süd­tiroler »Deutschrock«-Band Frei.Wild mit ihrer CD-Veröffentlichung »Gegengift« in die vorderen Plätze der Musikcharts. Die Texte der Band offenbaren gesellschaftliche Vorstellungen, die als völkisch begriffen werden müssen. Nichts ist versteckt oder chiffriert. Eine künstlerische Ambivalenz, mit der beispielsweise Bushido spielt, ist Frei.Wild fremd, die »ehrliche« Sprache und Authentizität sind Teil ihres Images. Der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs sprach 2013 im Zeit-Interview bei Frei.Wild von der »Sarrazinisierung des Popdiskurses«. 1

Die Nominierung von Frei.Wild für den Musikpreis ECHO sorgte 2013 für einen Eklat, als Bands wie Die Ärzte und Kraftclub dagegen protestierten und mit einem Boykott der Veranstaltung drohten. Die Verantwortlichen nahmen daraufhin die Nominierung von Frei.Wild zurück und begründeten dies damit, dass der ECHO-Preis »kein Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung« sei. Ein eigens eingerichteter ECHO-Ethikrat entschied 2014, dass die Texte der Band »gesellschaftlich vertretbar« seien.

Frei.Wild ist völkisch und tritt zugleich »gegen Rassismus und Extremismus« auf – wie funktioniert dieses derart widersprüchliche Konstrukt? Warum findet es so wenig Widerspruch bei den Fans?

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Frei.Wild-Fans demonstrieren 2013 in Berlin gegen »Extremismus und Rassismus.« Foto: Apabiz

 

Auch jenseits des Mainstreams häufen sich die Kontroversen. Deutsche Bands wie OHL, Martens Army und Gerbenok treten mit Punk-Attitüden auf, spielen auf Festivals und veröffentlichen bei Musiklabels, die sich »gegen rechts« positionieren. Sie erreichen Tausende Fans, die jederzeit bestätigen, dass »ihre« Bands »bestimmt nicht rechts« seien. Die Selbstverortung der Band ist meist einziges Kriterium für Fans und Veranstaltende. Außerdem: Es sei doch »nur« Musik, die mit Politik nichts zu tun habe.

Gerbenok verachten Schwule, die keine »echten Männer« seien, und zeichnen ein rassistisches Bild von »Asylanten«, die auf dem Bahnhofsklo dealen und Kinder auf den Strich schicken würden (»Die neuen Hippies«, 2006). Martens Army fordert in einem Liedtext die Todesstrafe und standrechtliche Exekutionen von »Kinderschändern« (»Zieht sie hoch«, 2010). Die deutsche »Kult«-Punkband OHL verknüpft im Text ihres Liedes »Die Invasion« (2006) das Bild »radikale[r] Moslems im Schutz der Demokratie« mit der Forderung »Wir müssen fest zusammenstehen im Kampf der Kulturen, für den Erhalt unserer Freiheit, für demokratische Strukturen.« Mit der Parole vom »Kampf der Kulturen« (gegen den Islam) bedienen sich OHL aus dem Repertoire der alten und neuen Rechten.

Musikkultur als politikfreier Raum?

In diesen Fragen und Konflikten offenbaren sich komplexe Problemlagen. Die genannten Bands und Ereignisse sind Erscheinungen in Jugend- und Musikkulturen, die sich zunehmend post­ideologisch verstehen. Wer Politik »hinein« trägt, gilt als »Spaßbremse«. Selbstreflektion und Fragen nach gesellschaftlicher Verantwortung finden kaum noch statt.

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Rechtes Oi-Konzert unter dem Label des »Unpolitischen« in Niedersachsen, 2008, Quelle: MySpace

 

Die Statements der Veran­stal­ter*innen des ECHO-Preises und des ECHO-Ethik-Rates weisen auf zwei Kernprobleme hin. Hinter der Aussage, dass der ECHO-Preis »kein Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung« sei, steht die Annahme, dass Musikkultur ein per se konflikt- und politikfreier Raum sei, und dass die Politik dort bleiben solle, wo sie vermeintlich hingehöre: in den Parteien, den Parlamenten und in Szenen, die sich selbst als politisch verstehen. Ganz so, als ob Musikkultur kein Feld (mehr) wäre, in dem gesellschaftspolitische Konflikte ausgehandelt werden würden. Die Aussage, dass völkische Positionen »gesellschaftlich vertretbar« seien, lässt den Rückschluss zu, dass kein Bewusstsein, beziehungsweise Wissen darüber herrscht, was völkische Positionen eigentlich sind, wie diese in die Gesellschaft wirken, dass sie zwingend mit rassistischer Ausgrenzung verbunden sind. Und sie verdeutlicht, wie durch die Reduktion rechter Ideologien auf »extremistische« Positionen den Ideologien der Ungleichheit Zugang zum kulturellen Raum verschafft wird, solange sie sich verbal vom »Extremismus« distanzieren.

Spiegel der Gesellschaft

Pop- und Rockmusik war und ist – selbst in ihren subkulturellen Spielarten – immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Übergang von Gegenkultur und Mainstream ist oft fließend. Gerade die Band Frei.Wild dient hierfür als Beispiel. Signifikant ist das Bemühen der Band, sich als »ganz normale« Menschen darzustellen – ihre völkischen Vorstellungen würden von der Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol geteilt. Dennoch ist Frei.Wild Protestkultur, ihr Image der Unangepassten ist nicht nur aufgesetzt. Sie verkörpern eine Rebellion gegen die gegenwärtige Gesellschaft. Sie geben denen eine Stimme, die meinen, dass »Gleichmacherei« und »Gutmenschentum« Grenzen hätten, beziehungsweise haben sollten. Sie stehen für den Rückzug in die Gemeinschaft, die Zugehörigkeit, Sicherheit und Stabilität vermitteln soll.

Das Phänomen ist seit Längerem erforscht: Ungleichheitsideologien werden an gesellschaftliche Diskurse angepasst, also rhetorisch aktualisiert, und die Argumentation an dem ausgerichtet, was ohne negative Konsequenzen »sagbar« ist. Der US-amerikanische Sozialpsychologe David Sears beschreibt dies am Beispiel Rassismus als den »Symbolischen Rassismus« und macht als dessen Kern unter anderem aus: Die Leugnung, dass die Diskriminierung von bestimmten Gruppen anhalte und die damit verbundene Kritik, dass die »Anderen« zu viel und zu unverschämt fordern würden. 2

Dieses Muster ist in den von uns untersuchten Szenen verbreitet und bezieht sich meist auf Diskurse um grundlegende Rechte von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen. Dahinter steht das Verständnis, dass die »ganz normalen Menschen«, die keine »Allüren« hätten und mit ehrlicher Arbeit den Wohlstand sichern würden, aufgrund »falscher Rücksichtnah-me« stets gegenüber denjenigen benachteiligt seien, die als »anders« oder als »Minderheiten« markiert sind. Die, die sich so als Benachteiligte und Opfer darstellen, sind fast ausnahmslos weiße, deutsche, heterosexuelle Menschen und in der Mehrzahl Männer, die in der großen Mehrzahl in Schichten jenseits des Prekariats verortet sind. Sie verwischen gesellschaftliche Realitäten und versuchen auf diese subtile Weise, ihre Privilegien und Vormachtstellung zu sichern.

Dieses Selbstverständnis bildet den Konsens der rechten Lebenswelten und einem Denken, das tief im gesellschaftlichen Mainstream verhaftet ist und oft erst in ihren brachialen Ausdrucksformen als rechts erkannt und problematisiert wird.

Extreme Rechte als Autoritäten

Die Sammlungen, die seit dem Sommer 2014 für einen rechten Aufbruch in Deutschland stehen, sind »Bürgerbewegungen« gegen Unterkünfte für Geflüchtete, eng verzahnt mit den »Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) und den »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa).

HoGeSa entstand im Früh­sommer 2014 aus einer Facebook-Gruppe namens »Weil Deutsche sich’s noch trau’n«. Die Durchsicht der Profile von den 320 dort beteiligten Personen offenbart deren musikalische Präferenzen. Die mit Abstand am häufigsten genannte »Gefällt mir«-Band war zu dieser Zeit die Band Böhse Onkelz, danach folgte Frei.Wild und erst an dritter Stelle die extrem rechte Hooliganband Kategorie C – Hungrige Wölfe. 3

Die rassistischen Angriffe auf eine Unterkunft von Geflüchteten im sächsischen Heidenau im August 2015 gingen maßgeblich von Personen rechter Fußballszenen aus. Und es waren Kreise der Dresdner Fußballszene, die Herbst 2014 die PEGIDA-Bewegung auf die Straße brachten. Rechte Hooligans verschiedener Vereine, die sich bisher verfeindet gegenüber standen, verbünden sich unter den Label HoGeSa und PEGIDA und übernehmen vielerorts Sicherheitsaufgaben bei deren Aufmärschen. Sie agieren dort in der Regel sehr selbstbewusst. Sie wissen um ihre Stärke und um das gesellschaftliche Standing, das sie in »ihren« Orten haben. Denn viele von ihnen sind in »ihren« Stadien oder in »ihren« Kampfsportvereinen anerkannte Personen und / oder arbeiten ganz offiziell in Sicherheitsdiensten. Sie stehen als Security an den Eingängen von Rockfestivals, in Fußballstadien und vor Unterkünften von Geflüchteten, um »für Ordnung zu sorgen«. Solange sie sich in ihrem Job »nichts zu Schulden kommen lassen«, ist dies für viele Auftrag­geber*innen kein Problem. Die »bedauerlichen Einzelfälle« haben sich längst zur kritischen Masse summiert: In den letzten Monaten wurden Dutzende Fälle bekannt, in denen Sicherheitsbedienstete Geflüchtete in oder vor den Unterkünften rassistisch beleidigten oder angriffen. Zudem: Es ist für Menschen dunkler Hautfarbe oder für Personen, die sich gegen Neonazis engagieren, eine Zumutung, auf Sport- oder Musikveranstaltungen extreme Rechte, die für sie eine unmittelbare Bedrohung darstellen, als Autoritäten (in Sicherheitsdiensten) erfahren zu müssen.

Tatsächlich wirft das Thema Sicherheitsdienste nur ein Schlag­licht in ein weites Problemfeld. In diesem geht es auch um NPD-Kader, die Fußball-Jugendteams betreuen oder als Fanclub-Vertreter den Vereinsführungen als Kooperationspartner dienen. Wer über einen Parteiposten, eine Aufmarschteilnahme oder unmissverständliche Facebook-Kommentare für eine extrem rechte Gruppe wirbt und/oder beispielsweise gegen Migrant*innen hetzt, personifiziert sich mit extrem rechten Positionen. Er*Sie repräsentiert diese auch dann, wenn er*sie im Vereinsrahmen im Erscheinungsbild unauffällig ist und sich in Kommentaren zurückhält – und konterkariert damit die »Toleranz und Vielfalt«, die sich der Verein auf die Fahne schreibt.

Ausdruck gesellschaftlicher Spaltung

Unter den Chiffren Pegida und HoGeSa formiert sich die Verteidigung beziehungsweise Wiederherstellung dessen, was ihre An­hän­ger*innen als »natürliche«, unveränderbare gesellschaftliche Ordnung begreifen. Von der angeblichen Bedrohung deutscher Familien und Kinder durch den Salafismus spannt sich der thematische Bogen zu einem oft lupenreinen Rassismus und Sozialdarwinismus, zu apokalyptischen Visionen vom Untergang des Volkes, zur Rekonstruktion von Männlichkeit, zur Hetze gegen »Gutmenschen«, Linke und alle Lebensentwürfe, die als abweichend diskriminiert werden.

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Anhängerin des extrem rechten Hooligan-Netzwerkes »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) am 15. November 2014 in Hannover. Ihr Shirt zeigt die Aufschrift »Rock gegen den Zeitgeist«. Foto: Apabiz

 

Dies verknüpft sich mit dem Selbstverständnis, sich außerhalb des politischen Links-Rechts-Schemas zu bewegen und mit der Diskursverweigerung gegenüber allen, die Kritik üben oder auch nur Sachen anders sehen, als man selbst. Eigene Ansichten werden als die (nicht verhandelbare) Wahrheit vorausgesetzt. Frei.Wild nennt sich selbst »die Band, die Wahrheit bringt« (Songtitel von 2015). Jeder Widerspruch wird als »Lüge« diskreditiert. Konsensbildend ist die Hetze gegen die »Lügenpresse«. Der Begriff »Lügenpresse« wurde wegen seiner Nähe zum Sprachgebrauch der Nazis zum Unwort des Jahres 2014 gewählt. Er wurde durch die Pegida-Parole »Lügenpresse – halt die Fresse« populär gemacht. Doch schon 2013 forderten Frei.Wild-Fans - zu hören auf einer DVD der »Golden Edition« ihres Albums »Feinde deiner Feinde« – Sprechchor »Lügenpresse – auf die Fresse.«

Die rechten Lebenswelten in den Fußball- und Musikkulturen sind Ausdruck der fortschreitenden Entsolidarisierung in der Gesellschaft und der an Schärfe gewinnenden Konkurrenz um Ressourcen und Privilegien. Gesell­schaft wird als ein Schlachtfeld von Konkurrenz beschrieben, in dem sich »naturgemäß« die »Stärkeren«, »Überlegenen«, »Angestammten« und Etablierten durchzusetzen hätten.

Was manchen Kunst- und Musikrichtungen als Mittel der Kritik dient, findet hier nicht statt: Die Abbildung der Gesellschaft geschieht nicht, um ihr den Spiegel vorzuhalten, sie zu entlarven und zu ändern. Denn in rechten Lebenswelten gibt es keine Utopien einer egalitären Gesellschaft.

1 »Die Sarrazinisierung des Popdiskurses ist weit verbreitet«, Interview mit Thorsten Hindrichs, Zeit-Online, 08.03.2013, www.zeit.de/kultur/musik/2013-03/freiwild-interview-thorsten-hindrichs
2 David O. Sears, Symbolic racism, in: Phyllis A. Katz, Dalmas A. Taylor (Hg.) Eliminating racism. Profiles in controversy, New York 1988, S. 53ff.
3 Antifaschistisches Infoblatt Nr. 103, 2014, »Patriotisches Menschenmaterial.« Analyse und Hintergründe der extrem rechten Facebook-Gruppe »Weil Deutsche sich’s noch trau’n!«, www.antifainfoblatt.de/artikel/%E2%80%9Epatriotischesmenschenmaterial%E2%80%9C (15.2.2015).

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Zum Verständnis von Lebenswelt, Ideologie und Mentalität

Zum Verständnis von Lebenswelt, Ideologie und Mentalität

In Jugend- und Popkulturen haben sich Lebenswelten herausgebildet, in denen Fragmente rechter Ideologien in unterschiedlicher Betonung und in unterschiedlicher Qualität – mal implizit, mal explizit – vertreten und verbreitet werden. Dabei sind inhaltliche und strukturelle Schnittstellen zwischen vermeintlich unpolitischen, rechten und extrem rechten Individuen und Kollektiven zu erkennen.

Anstelle des für dieses Phänomen populären Begriffs »Grauzone« haben wir uns ergänzend für die genauere Bezeichnung »rechte (jugendliche) Lebenswelten« entschieden – diese verwenden wir synonym. Im Gegensatz zum Begriff »Grauzone« nimmt der Begriff »rechte Lebenswelten« die fraglichen Lebenswelten an sich ernster, denn er reduziert sie nicht (wie der Begriff »Grauzone« suggeriert) auf uneindeutige Vorfelder der eindeutigen extrem rechten und neonazistischen Szenen. Weiter vermittelt der Singular in der populären Bezeichnung »Grauzone« den Eindruck, dass es sich um eine homogene oder gar Spektren übergreifende Szene handeln wür­de. Dies trifft jedoch nicht zu, da eine Vielfalt bis hin zur Abgrenzung zwischen verschiedenen rechten Lebenswelten festzustellen ist. Ein darüber hinausgehendes Problem besteht darin, dass der Begriff »Grauzone« im Allgemeinen durch die Grauzone im juristischen Sinne geprägt ist, die den Grenzbereich zwischen Legalität und ­Illegalität beschreibt. Die Übertragung des Grauzonebegriffs auf ­Jugend- und Popkulturen löst deswegen mitunter den Impuls aus, die Nähe des betrachteten Problemfeldes zur Rechten über strafbare Inhalte zu bestimmen.

Wir sprechen von rechten (jugendlichen) Lebenswelten, um zu unterstreichen, dass in diesen Lebenswelten rechte Einstellungen und Verhaltensweisen ausgeprägt sind. Weiter haben wir uns für die Schreibweise im Plural entschieden, um die bestehende Vielfalt in diesen Lebenswelten zu betonen. Im Musikbereich finden sich rechte Lebenswelten in vielen Ausprägungen wieder. Deutschrock, Metal, Hardcore oder HipHop sind eigenständige Szenen, beziehungsweise Stile, sie sind innerhalb der Popkulturen angesiedelte Jugendkulturen und stellen für partizipierende Jugendliche und junge Erwachsene verschiedene lebensweltliche Angebote bereit. Nicht die Szenen an sich sind dabei rechts, sondern innerhalb dieser Szenen existieren entsprechend aufgeladene Teilräume, die sich meist um bestimmte Bands, beziehungsweise um Bands mit einem bestimmten Image, bilden/konzentrieren.

Ziel und Vorgehen

Bisher ist eine Vielzahl von zum Teil gut recherchierten Artikeln zu einzelnen Bands und Rappern erschienen, die auf diverse problematische Inhalte in deren Texten hinweisen. Allerdings gibt es bisher keinen Versuch, diese problema­tischen Inhalte in ein adäquates theoretisches Gerüst einzuordnen, sondern es wird meist versucht, das Problem mit bisherigen Rechtsextremismustheorien zu fassen. Die Versuche stoßen schnell an Grenzen, da die dort vertretenen Inhalte weder extrem, noch verboten sind.

Wir haben verschiedenes Datenmaterial aus diesen Lebenswelten untersucht und teilnehmende Beobachtungen an verschiedenen Orten durchgeführt. Im Fokus unserer ersten Analyse standen zunächst die rechten Lebenswelten im Deutschrock, später haben wir unsere Untersuchung noch auf den HipHop ausgeweitet. Dafür haben wir Datenmaterial aus diesen rechten Lebenswelten inhaltlich analysiert, welches sich vor allem auf Fanzines, Soziale Netzwerke, Liedtexte, Biographien von und Interviews mit Bands erstreckte. Da­rüber hinaus haben wir uns die Ästhetik in diesen beiden rechten musikalischen Lebenswelten mittels Bild- und Videoanalyse (Selbstdarstellungen, Portraits und Vide­os von Bands sowie Bilder von Partys und Konzerten) auseinandergesetzt. Hinzu kamen teilnehmende Beobachtungen von Deutschrockpartys und -konzerten, die den rechten Lebenswelten zuzurechnen sind.

In unserem Projekt sehen wir uns die rechten Lebenswelten genauer an. Unsere zentralen Fragen sind: Welche antiegalitären und antiemanzipatorischen Potenziale sind in diesen Teilräumen im Kultur- und Freizeitbereich zu finden? Was sind die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Personen in diesen Räumen? Ausgangspunkt für unsere Arbeit sind Phänomene in Musik- und Fußballfankulturen. Wir haben ausgehend von unseren Erkenntnissen für das Phänomen von rechten musikalischen Lebenswelten ein Theoriegerüst entwickelt, das wir zur Diskussion stellen.

Um dieses Theoriegerüst plastischer zu machen, haben wir uns vor allem auf Aussagen (etwa aus Interviews) und Songtexte der Bands und Rapper innerhalb der rechten Lebenswelten gestützt. Aufgrund ihrer Popularität erschienen uns die Deutschrock-Bands Böhse Onkelz und Frei.Wild sowie die Berliner Rapper Bushido und Fler besonders relevant. Um zu zeigen, dass sich diese Phänomene auch in anderen Szenen wiederfinden, haben wir auch auf einzelne Oi-Bands zurückgegriffen.

Begriffe und Modelle: Lebenswelten, Ideologien und Mentalitäten

Zunächst wollen wir ein Begriffsinstrumentarium und Modelle vorstellen, mithilfe derer wir uns dem Phänomen der rechten jugendlichen Lebenswelten annähern. Wir haben uns entschieden, die Begriffe Lebenswelten, Ideologien und Mentalität zu nutzen, um zu unterstreichen, dass es sich um ein individuelles wie auch kollektives Muster von Denken, Haltungen, Orientierungen und Handlungen, als auch um eine selbst konstruierte Alltags-, Freizeit- und Erlebniswelt handelt.

Zum Verständnis von Lebenswelten

Lebenswelt aus der Perspektive von Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist das Verständnis von Lebenswelt in der Regel stark affektiv. Auf die an sie gerichtete Frage, was sie unter ihrer Lebenswelt verstehen, kommen fast immer spontane Antworten wie: »mit meinen Freunden treffen, was zusammen unternehmen«, »da, wo ich mich wohl fühle«, »da, wo mir niemand reinredet«, aber auch: »da, wo mir niemand blöde Fragen stellt«. In ihrem Verständnis reduziert sich die Lebenswelt auf das, was als »soziale Heimat« verstanden werden kann: die sozialen Zusammenhänge sowie Freizeit- und Erlebnisräume, in denen sich die Person bewegt und vor allem: in denen das Individuum nicht in Frage gestellt wird und sich nicht selbst in Frage stellen muss. Auffallend ist, dass die »eigene Lebenswelt« zum Teil deutlich von der »Umwelt« abgegrenzt wird. Umwelt wird als eine Notwendigkeit, mitunter auch als Zwang wahrgenommen, als etwas, was sich der Mensch nicht aussuchen kann, zu der ein sehr funktionales Verhältnis gepflegt wird. Aus Sicht der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gelten Lebenswelten als Räume und soziale Zusammenhänge, in denen sich das Individuum nicht distanzieren muss und meist auch nicht will, und die weitaus stärker von einem »Wir«-Gefühl getragen werden. Oft wird die so definierte »eigene« Lebenswelt gegen die als feindlich empfundene Umwelt in Stellung gebracht.

 

Lebenswelt und kleine soziale Lebenswelt

Als »Lebenswelt« verstehen wir die Sicht von Menschen auf die Welt als Ganzes, wie sie selbstverständlich erfahren und durch subjektive Bewusstseinsleistungen hergestellt wird: Die Lebenswelt ist die Gesamtheit von Wirklichkeiten, unter denen sich der Alltag auszeichnet. Jedes Individuum hat eine eigene, einmalige Lebenswelt, deren Gesamterscheinung auch auf indi­viduellen Konstruktionsleistungen beruht. Unter ähnlichen äußeren objektiven Bedingungen neigen Individuen zur Herausbildung von ähnlichen Lebenswelten.

Wir folgen weiterhin den So­ziolog*innen Roland Hitzler und Anne Honer, die beschrieben, wie sich die individuelle Lebenswelt aus einem Patchwork von »kleinen sozialen Lebenswelten« zusammensetzt.1 Gemeint sind damit »kleine soziale Formationen« in der Gesellschaft, innerhalb derer das Individuum mit »jeweils verschiedenen anderen zusammen durchaus verschiedene »Zwecke« verfolgt«. Das Individuum kann seine Partizipation an den teilzeitigen »kleinen sozialen Lebenswelten« in manchen Fällen nur beschränkt selbst bestimmen (etwa in den kleinen sozialen Lebenswelten Schule oder Familie), in anderen Fällen hat es weitreichen­de Mitbestimmungsmöglichkeiten (etwa im Freundeskreis oder als Teil einer Szene). Die einzelnen kleinen sozialen Lebenswelten nehmen bei der Formung der gesamten Lebenswelt eines Individuums aufeinander Einfluss. Ein Mindestmaß an Konsistenz unter den kleinen sozialen Lebenswelten ist nötig (es ist nicht möglich Gemeindemitglied in einer christlichen Kirche und in einer Moschee sein), gewisse Widersprüchlichkeiten kann das Individuum jedoch integrieren (es kann gleichzeitig in einer Heavy-Metal-Band spielen und Kirchen-Gemeindemitglied sein).

Wenn wir von Lebenswelten schreiben, meinen wir damit in der Regel die kleinen sozialen Lebenswelten. In diesen Teilzeit-Lebenswelten kommt das Individuum mit anderen zusammen und partizipiert mit ihnen gemeinsam, mit ähnlichen aber nicht unbedingt gleichen Zielen, Hintergründen und Voraussetzungen. Diese Lebenswelten spiegeln sich in jugendlichen Freundeskreisen, aber auch in Jugend- und Popkulturen und deren Infrastrukturen wider: Events, Treffpunkte und soziale Netzwerke. Dort gelten grundlegende Regeln und Routinen, und es sind Eigen- und Besonderheiten sowie Praxen und Riten zu finden, welche für das Individuum widerum Orientierungs- und Deutungsmuster darstellen. Die lebensweltlichen Räume bringen eine eigene Sprache, ein eigenes Reservoir an Codes und Symbolen hervor, das als Identifikationsmerkmale, als Ausweis der Zugehörigkeit für die Individuen fungiert.

 

Rechte Lebenswelt

In den bei uns im Fokus stehenden sozialen Strukturen – Szenen, Jugendkulturen, Fangruppen und Cliquen – sind antiegalitäre Einstellungen, sind Ideologien der Ungleichheit in einem Maß zu finden, das über den gesellschaftlichen Durchschnitt hinausreicht. Sie werden in diesen Räumen nicht nur reproduziert, sondern sind in einem Mindestmaß auch formgebend, weil sie die Gesamterscheinung der Struktur mitprägen. Antiegalitäre Einstellungen fassen wir abgekürzt als politisch »rechts« zusammen und sprechen darum von »rechten kleinen sozialen Lebenswelten«, die wir als »rechte Lebenswelten« abkürzen.

Inwieweit jedes Individuum, das an einem solchen lebensweltlichen Raum partizipiert, solche Ideologien selbst vertritt, ist dabei nicht unbedingt entscheidend: Ein Konzert mit einer rassistischen Oi-Band kann eine Erscheinung rechter Lebenswelten sein, auch wenn dort viele Gäste zugegen sind, die keine rassistischen Positionen vertreten wollen, sondern beispielsweise nur mit ihren Bekannten den Spaß an der ruppigen Musik zelebrieren möchten. Umgekehrt gilt entsprechend auch, dass nicht jedes Events zur Erscheinung rechter Lebenswelt gerät, sobald dort einige Rechte anwesend sind.

 

Zum Verständnis von Ideologie und Mentalität

Es ist nicht einfach, die von uns untersuchten rechten Lebenswelten mit treffenden Begriffen zu beschreiben. Wir finden dort politische Ansichten, Überzeugungen und Einstellungsmuster, die politische Ideologien transportieren und manifestieren. Den kollektiven Zusammenhalt der Szenen besorgt indes keine politische Identität, sondern das, was in den Szenen als »Lebensgefühl« benannt wird und sich wahlweise als Lebensstil, Lebensart, Weltsicht, Geisteshaltung, Denkweise oder Mentalität beschreiben lässt. Wir haben uns entschlossen, primär die Begriffe Ideologie und Mentalität zu nutzen. Wir wollen deutlich machen, dass sich die dort vorherrschenden Einstellungen stark aus rechten Ideologien speisen, wenngleich sie diese oft nur fragmentiert wiedergeben. Der Begriff Mentalität stellt heraus, dass diese Einstellungen an Verhaltensmustern geknüpft sind, stark affektiv besetzt sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Die politische Ideologie

Es gibt viele Verständnisse und Definitionen und entsprechende Diskussionen darüber, was eine (politische) Ideologie überhaupt ist, welche Funktionen sie hat und wie sie wirkt. »Ideologie« wird neutral und wertfrei verwendet, oder aber positiv oder negativ besetzt.

Weitgehend unbestritten ist, eine politische Ideologie als ein theoretisches und rationales Konzept zu begreifen, das auf einem politischen Bewusstsein und einer politischen Überzeugung basiert. Hegel, Marx und Georg Lukàcs prägten, so schreibt der Kultur- und Literaturtheoretiker Terry Eagleton, die ideologiekritische Ansicht, in der Ideologie als ein Mittel verstanden wird, mit dem Herrschaftsverhältnisse legitimiert und aufrechterhalten werden. Eagleton benennt die Strategien zur Durchsetzung einer politischen Ideologie folgendermaßen:

  • die Propagierung von Werten und Überzeugungen,
  • das Selbstverständlichmachen dieser Werte und Überzeu­gungen,
  • ihre Universalisierung,
  • die Verunglimpfung konkurrierender Überzeugungen,
  • die Ausschließung (Verbot, Indizierung) rivalisierender Denk­ansätze,
  • die Verschleierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Mystifizierung).2

 

Herrschaftsverhältnisse existieren nicht nur auf der Ebene der »realpolitischen Macht«, beispielsweise einer Regierung. Sondern sie spiegeln sich als Dominanzverhalten in nahezu allen sozialen Einheiten wieder. Auch Eagleton plädiert dafür, den Ideologiebegriff dahingehend zu erweitern.

In den von uns untersuchten rechten Lebenswelten finden sich fast alle Elemente wieder, die Eagleton als Strategien zur Durchsetzung einer politischen Ideologie benennt: Die beständige Propagierung von Werten und Überzeugungen, die Verunglimpfung konkurrierender Überzeugungen oder der Versuch der Ausschließung ­rivalisierender Denkansätze. Auch werden dort Ideologien vertreten, wie zum Beispiel Nationalismus oder Ungleichheitsideologien, die einfache Erklärungen für komplexe gesellschaftliche Probleme anbieten und der Verschleierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit dienen.

Doch findet in den Szenen unseres Untersuchungsfeldes praktisch keine Auseinandersetzung darüber statt, was Ideologie eigentlich ist. Ideologie wird als eine rigide Ausdrucksform von Politik begriffen und pauschal abgelehnt. Es herrscht das Verständnis vor, unpolitisch beziehungsweise antipolitisch zu sein. Als verbindendes Element wird ein »Lebensgefühl« angeführt, das gegen alles Politische und Ideologische in Stellung gebracht wird. An Stelle des theoretischen und rationalen (ideologischen, politischen) Konzeptes steht das angeblich emotionale Empfinden und Handeln, das gleichwohl für sich die unbedingte Wahrheit beansprucht.

Es existiert in den von uns untersuchten Lebenswelten kein Bewusstsein darüber, Ideologien zu vertreten und politisch oder gar strategisch zu handeln. Die Werte und Überzeugungen, die vertreten werden, sind als »ganz normal« oder »ganz natürlich« verinnerlicht und werden als allgemeingültig und selbstverständlich vorausgesetzt. Was unter dem Label des Politischen noch Gegenstand von Debatten ist und mitunter polarisierend wirkt, ist der Reflexion und Verhandelbarkeit weitgehend entzogen.

 

Mentalität als Instrument der Analyse

Der Rapper Bushido bringt es auf den Punkt:

»Insofern beschreibe ich hier keine politische Meinung, sondern einfach nur eine Gefühlslage, die den schwäbischen Bauarbeiter wie den Berliner Bierproll oder den fränkischen Ochsenzüchter, den Fabrikanten und den Universitätsprofessor gleichermaßen betrifft, und so fände ich die Tatsache, dass eines meiner Kinder homosexuell wäre, erst einmal richtig scheiße.« 3

Die Ideologie, in diesem Fall Heterosexismus, stellt den Inhalt dieser Aussage. Das, was Bushido als »Gefühlslage« bezeichnet, ist die Form, mit der die Ideologie ausgedrückt wird. Diese lässt sich in unserem Untersuchungsfeld mit dem Begriff der Mentalität fassen.

Unter Mentalität wird eine Geisteshaltung verstanden, die individuell und kollektiv verinnerlicht ist. Für den Kulturanthro­po­logen Heinz Schilling setzt sich Mentalität aus verschiedenen Kennzeichen zusammen.

Mentalität

  • ist ein System kognitiver Muster von Selbstverständlichkeiten,
  • wird ohne nachzudenken aktiviert,
  • wirkt gruppenspezifisch und gruppenbindend,
  • hat schwach verbalisierte Inhalte,
  • hat starke affektive Besetzung,
  • steht nicht zur Disposition.4

 

Mentalität wirkt demnach vor allem innerhalb einer Gruppe, die dieselbe Mentalität teilt. Schilling betont dabei verschiedene Aspekte, die in den von uns untersuchten rechten Lebenswelten zentrale Bedeutung haben: kollektive Denk- und Verhaltensmuster, die als selbstverständlich gelten, die jederzeit abrufbar und stark affektiv besetzt sind und die vor allem nicht zur Disposition stehen.

In dieser wissenschaftlichen Definition bietet uns der Begriff Mentalität ein passendes Instrument zur Analyse und Beschreibung unseres Untersuchungsfeldes. Das allgemeine Verständnis von Mentalität ist hingegen kritisch zu betrachten. »Mentalität« dient häufig als Begriff der Zuschreibung und Festlegung von Verhaltensmustern für eine bestimmte Gruppe. Dies geht mit deren Stereotypisierung einher und wird insbesondere problematisch, wenn regionale, ethnische oder nationale Gruppen konstruiert werden. Dabei funktioniert »Mentalität« als Fremdzuschreibung (»die sind eben so«) und als Selbstzuschreibung (»wir sind eben so«). Von diesem Verständnis von Mentalität grenzen wir uns ab.

Brüche und Kontinuitäten

Eine dezidiert politische Ideologie lässt sich in der Regel individuell wesentlich einfacher in Frage stellen als die (verinnerlichte) Mentalität, deren Änderung eine tief greifende Reflektion erfordert. Diesem Aspekt kommt beispielsweise in der Bewertung von Ausstiegs-Prozessen aus der Neonaziszene eine besondere Bedeutung zu. Was in Biographien ehemaliger Neonazis häufig als Ausstieg beschrieben wird, meint die Entfremdung von extrem rechten Gruppen und Organisationen, einhergehend mit der Abkehr von extrem rechten Ideologien und der individuellen Aufgabe des »politischen Kampfes«. Viele Aussteiger*innen begreifen ihre »aktive Zeit« als Neonazis als eine Phase der Verirrung oder des Über-die-Stränge-Schlagens, in der man »falsch« oder auch nur »zu radikal« gedacht und gehandelt hat. Die Mentalität bleibt beim Ausstieg, bzw. bei dem, was als solcher verstanden und gesellschaftlich anerkannt wird, oft wenig ­berührt und wird an »anderen« Orten und in »anderen« Szenen – beispielsweise in Deutschrock-Cliquen, Rockergruppen, Fußballfanszenen, Vereinen oder Familie – weiter gelebt. Wer sich vom völkisch-nationalistischen Denken abwendet, jedoch seine*ihre Chauvinismen und Herrschaftsansprüche unter dem Label des (Lokal-)Patriotismus weiter vertritt, der*die mag ein Ideologem als falsch erkannt haben, nicht aber die Mentalität, die dieses hat entstehen lassen und immer weiter produzieren wird.

Zum Verhältnis von Lebenswelten, Ideologien und Mentalitäten

Die rechten Lebenswelten wirken als soziale Vermittlungsebene rechter Ideologien und Mentalitäten. Sie unterliegen sozialer Dynamik, bieten Erlebnis, erzeugen gemeinschaftliche Bindungen, verschaffen (gemeinschaftliche) Bestätigung. Sie transportieren, integrieren und stabilisieren Mentalitäten und Ideologien in soziale(n) Räume(n) und Gruppen. Dies meint einerseits private Räume, die einem klar umrissenen Kreis exklusiv zur Verfügung stehen und in denen rechte Mentalitäten eine oft stringente Umsetzung erfahren, andererseits öffentliche Räume (beispielsweise bestimmte Konzerte oder Sportereignisse), in denen diese zumindest partiell gelebt werden können.

So bedingen und erzeugen sich rechte Lebenswelten, Ideologien und Mentalitäten gegenseitig, sie formen gemeinsam den individuellen und kollektiven »Way of Life«.

 

1 Roland Hitzler, Anne Honer, Qualitative Verfahren zur Lebensweltanalyse, 1991, URL: http://www.hitzler-soziologie.de/pdf/hitzler_1991a.pdf; Roland Hitzler, Anne Honer, Lebenswelt – Milieu – Situation: terminologische Vorschläge zur theoretischen Verständigung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 36 (1985), S. 56–74, http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/5546/ssoar-kzfss-1984-1-hitzler_et_al-lebenswelt_-_milieu_-_situation.pdf?sequence=1, Roland Hitzler, Welten erkunden. Soziologie als (eine Art) Ethnologie der eigenen Gesellschaft, in: Soziale Welt, 4/1999, http://www.qualitative-forschung.de/
fqs-supplement/members/Hitzler/hitzler-sw-d.html
2 Terry Eagleton, Ideologie. Eine Einführung, Weimar, 2000, S. 12.
3 Anis Mohammed Youssef Ferchichi, Marcus Staiger, Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht, München 2013, S. 219.
4 Heinz Schilling, Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil, Frankfurt/Main 2003, S. 78.

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