Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Zur Einordnung von Musik und Bands

Anhand wessen kann bzw. muss entschieden werden, ob eine Band oder ein Lied rechts ist? Welche Faktoren müssen einbezogen werden? Nur selten reicht es aus, den Wikipedia-Beitrag über eine Band zu lesen und anhand dessen zu entscheiden, ob ihre Musik rechts ist oder nicht. In der Regel muss eine genaue Auseinandersetzung mit den Bands und den Musiker*innen stattfinden, um die Intention ihrer Musik und deren Wirkung auf die Hörer*innen zu erkennen. (Sub-)Kulturen und Musikszenen haben ihren jeweils eigenen Gestus und ihre eigenen Codes, die gegebenenfalls dechiffriert werden müssen. Zentral stehen deshalb die Fragen: Wer spielt das Lied? Was ist Intention des Liedes? Welche Botschaft erreicht wen?

Text und Kontext

1996 wurde der deutsche Kabarettist Serdar Somuncu von der Tageszeitung taz als »Mann des Jahres« ausgezeichnet. Er begeisterte zu dieser Zeit sein Publikum in ausverkauften Hallen mit Shows, bei denen er Passagen aus dem Buch »Mein Kampf« von Adolf Hitler vorlas und die berüchtigte »Sportpalast-Rede« von Josef Goebbels vortrug. Der in Istanbul geborene Somuncu stellte sich seinem Publikum als »Kanake« vor. Durch Zwischenkommentare, eine affektierte Sprache und Mimik, sowie durch groteske Überzeichnungen – zum Beispiel durch eine zwischen Nase und Oberlippe geklemmte Zahnbürste, die den Hitlerbart darstellen sollte – machte Somuncu das von ihm gesagte lächerlich und entwertete es. Neonazis reagierten erbost auf seine Auftritte und sahen darin die Ehre ihrer Vorbilder beschmutzt, das mehrheitlich linke Publikum war hingegen amüsiert. Über diese Art der Comedy lässt sich geteilter Meinung sein, unbestritten ist jedoch, dass die Botschaft von Serdar Somuncu antifaschistisch war. Wenn hingegen auf einer öffentlichen NPD-Versammlung zusammenhängende Sätze aus »Mein Kampf« vorgelesen würden, so wäre dies ein erneuter Nachweis, dass die NPD eine neonazistische Partei ist. Für die vortragende Person könnte dies eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung zur Folge haben.

Im Jahr 1993 wurden Mitglieder der deutschen Neonaziband Störkraft wegen Volksverhetzung zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Die Band hatte in dem Lied »Söldner« gesungen: »Er ist ein Skinhead und Faschist. Er hat eine Glatze und ist Rassist. Moral und Herz besitzt er nicht, ein Menschenleben interessiert ihn nicht. Er liebt den Krieg, er liebt die Gewalt und bist du sein Feind, dann macht er dich kalt.« Vergeblich hatten die Angeklagten darauf verwiesen, dass dies gar nicht »ihr« Text sei. Tatsächlich hatte Störkraft das Lied »Söldner« von der antifaschistischen Punkband Targets gecovert. Das Gericht jedoch verwies darauf, dass Störkraft dieses Lied in einen gegensätzlichen Sinnzusammenhang gestellt hatte: Aus der Anklage gegen den faschistischen und rassistischen Söldner war durch andere Interpreten und vor anderem Publikum dessen Verherrlichung und Aufwertung geworden.

Diese Beispiele machen deutlich: Das Gesagte oder Gesungene ist kein ausschließliches Kriterium für eine politische Wertung. Reden und Liedtexte entfalten ihre Wirkung erst in Zusammenhang mit anderen Faktoren: Die Inszenierung, die Rhythmen und Melodien, die Choreografie, der Ort eines Konzertes, die Bilder (beispielsweise in Musikvideos), die dazu gelieferte Symbolik und Ästhetik, der begleitende Kommentar (beispielsweise in Liedansagen) oder die Selbstverortung der Vortragenden. Vieles findet auch außerhalb der Bühnen und Booklets statt, beispielsweise in Interviews oder über Internetseiten. Oft entscheidet erst die Gesamtbetrachtung darüber, wo die Band politisch verortet ist und welche Botschaften sie an welches Publikum adressiert.

So blamierte sich ein »Fachmann« auf einem Seminar einer Landeszentrale für politische Bildung, als er das Lied »Riot« der US-amerikanischen Punkband Dead Kennedys als Beispiel für gewaltverherrlichende, linksradikale Musik heranzog und dies mit den folgenden Textzeilen zu belegen versuchte:

»Now you can smash all the windows that you want. All you really need are some friends and a rock. Throwing a brick never felt so damn good. Smash more glass«. 1

Offensichtlich war ihm die Band nicht bekannt, er wusste nicht, dass sie sich stets gegen unreflektierte und sinnentleerte Gewalt ausgesprochen hatte. Eine zentrale Aussage des Liedes »Riot« lautet demnach

»Tomorrow you’re homeless, tonight it’s a blast« 2.

Das Lied war ein Plädoyer eben nicht den eigenen Stadtteil zu zerstören und diese Botschaft transportierte sich in die Mehrheit der Punkszene. Die Analyse des Textes als gewaltherrlichendes Lied war schlichtweg falsch. Wenngleich auch die Dead Kennedys nicht verhindern konnten, dass manche die Schlagworte vom »Riot« aufnahmen, den Rest ignorierten und den eigenen Stadtteil kaputt schlugen.

Vieles liegt im Blickwinkel des betrachtenden Publikums. Doch die Verantwortung für das Publikum tragen die, die Musik machen. Sie können ihr Image und ihre Botschaften bestimmen. Sie können zwar nicht jeder Missdeutung und (falschen) Vereinnahmung vorbeugen, aber sie können diese Risiken klein halten, korrigierend eingreifen und Konsequenzen ziehen, für bestimmte Veranstaltende nicht mehr aufzutreten, bestimmte Lieder nicht mehr zu spielen, bestimmte Inszenierungen aufzugeben, ein bestimmtes Publikum durch eindeutige Statements und Zugangsverbote auszuschließen. Die oft gehörte Verteidigung, die Band könne doch nichts dafür, wenn ihre Musik auch von Rechten positiv aufgenommen würde und ihre Konzerte von Rechten besucht würden, dient nur der Ablehnung von Verantwortung.

 

Die Brille der Anderen

Wenn der Kabarettist Serdar Somuncu in gespieltem Ernst die Sportpalast-Rede von Goebbels vorträgt, dann schlüpft er in die Rolle des Nazis, um seinem Publikum bildhaft dessen Propaganda vorzuführen. Er erzeugt einen performativen Widerspruch, der zum Nachdenken und in diesem Fall auch zum Lachen anregt. Die Grenze zwischen Musik und Schauspiel ist fließend. Immer wieder haben Musiker*innen in Liedtexten die Ich-Perspektive einer anderen Person eingenommen, um ihren Aussagen stärkeren Ausdruck zu geben, ihr Publikum zu konfrontieren und Reaktionen (und gerne auch verkaufsfördernde Skandale) zu provozieren.

Die Böhsen Onkelz sangen 1984 auf ihrer LP »Der nette Mann« im gleichnamigen Lied:

»Ich bin der nette Mann von nebenan, und jeder könnt’ es sein. Schaut mich an, schaut mich an, ich bin das perverse Schwein! Die Gier nach Qual und Todesschreien macht mich noch verrückt. Kann mich denn kein Mensch verstehen, dass mich das entzückt? Komm mein Kleines, du sollst heut Nacht mein Opfer sein, ich freu’ mich schon auf dein entsetztes Gesicht und die Angst in deinen Schreien.«

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften setzte diese LP auf den Index. In Texten wie »Fussball + Gewalt« hatte sie eine Gewaltverherrlichung, im Text »Der nette Mann« die Verherrlichung der Misshandlung und Tötung von Kindern erkannt. Dies wirkte kontraproduktiv. Zwar waren die Böhsen Onkelz zu dieser Zeit die bekannteste Band einer gewalttätigen, rechten Skinheadszene, doch war (fast) allen Hörer*innen klar, dass das Lied »Der nette Mann« im Subtext eine Anklage gegen Kindesmissbrauch formulieren sollte. In den Folgejahren boykottierten viele Radiosender und Musikvertriebe die Böhsen Onkelz, Pädagog*innen verbannten ihre Musik aus Jugendzentren und Schulen. Doch anstatt sich mit den tatsächlich rechten Inhalten der Böhsen Onkelz in anderen Songs auseinanderzusetzen, geschah dies zumeist mit dem Hinweis auf die Indizierung der LP »Der nette Mann« bzw. darauf, dass die Band angeblich »verboten« sei. Den Fans der Böhsen Onkelz war hingegen bewusst, dass dieser Indizierung unter anderem eine falsche Interpretation eines Liedtextes zugrunde lag. So machten sich viele Kulturschaffende und Lehrende unglaubwürdig. Dies trug zur Begründung des Mythos und des Erfolgs der Böhsen Onkelz bei, die ihr Image auf der Selbststilisierung als Missverstandene und Opfer von Zensur aufbauten – nicht völlig zu Unrecht.

Im Jahr 1999 veröffentlichte die deutsche Oi-Band Stomper 98 das Lied »Päderast«, in dem auch sie das Thema Kindesmissbrauch aufgriff. Sie forderten für die Täter:

»Qual für dieses Schwein, ja so muss das sein (...) Führt den Pranger wieder ein, der Tod wird die Erlösung sein (...). Knüpft den Bastard ganz schnell auf, Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf!«

Mit ihren Aussagen konfrontiert, ließ die Band 2008 in einem Statement verlauten:

»Hier weisen wir noch mal darauf hin, dass wir natürlich KEINE Befürworter der Todesstrafe bzw. eines totalitären Systems sind. Im Song ›Päderast‹ vermitteln wir Gefühle wie Angst, Wut, Ohnmacht und vollkommene Hilf­losigkeit angesichts solcher Taten in unserer unmittelbaren Umgebung und in der Gesellschaft allgemein. ›Knüpft den Bastard ganz schnell auf‹ und ›Führt den Pranger wieder ein‹ sind als Metaphern zu verstehen für das, was in einem vorgeht.« 3

Stomper 98 erklärten, unter Druck geraten, dieses Lied zum künstlerischen Rollenspiel. Ihr Verteidigungsargument ist, doch »nur« durch die Brille derer geblickt zu haben, die angesichts solcher Taten Wut und Ohnmacht verspürten. Dies entpuppt sich erst bei der Betrachtung von Stomper 98-Liveauftritten, auf denen das Lied bis mindestens 2006 gespielt wurde, als reine Schutzbehauptung. Die wiederkehrende Textpassage »Qual für dieses Schwein, ja so muss das sein« löst eine Dynamik aus, in der die Anwesenden zur Bühne drängen, mitsingen und zu den Worten die Fäuste recken. Die Band lässt das Publikum gewähren, sie erklärt nichts, sie klärt nicht auf. Sie bietet keine inhaltlichen Brüche und erzeugt keine Widersprüche. Demnach vermochte (und wollte!) niemand der Konzertanwesenden die Textzeilen als Metaphern deuten. Stomper 98 dirigierten einen Mob, für den die Forderung nach Todesstrafe Ausdruck einer Überzeugung ist. Das Lied war ein unmissverständliches Plädoyer für die Todesstrafe. Immerhin: Die Kritik im Jahr 2008 veranlasste Stomper 98 das Lied aus ihrem Programm zu nehmen.

 

Ambivalenz oder Eindeutigkeit?

Wann wird Provokation zu Propaganda? Wann kehrt sich Ambivalenz in Eindeutigkeit? Was dient der Verstörung, was der Vergewisserung? Die Fragen sind oft schwierig zu beantworten.

Oi-Bands wie Stomper 98, Deutschrock-Bands wie Frei.Wild oder »Gangster-Rapper« wie Fler leben von ihrer Authentizität und Eindeutigkeit. Sie bieten Identitäts- und Bekenntnismusik. Sie sind der dezidierte Gegenentwurf zu denen, die Musik als Kunstform interpretieren. Sie betonen stets, das zu sagen, was sie denken und sich so zu geben, wie sie »wirklich« seien. Wenn sie verstören wollen, dann nur die »Anderen«. Ihrem Publikum gegenüber senden sie eindeutige Botschaften zur Selbstvergewisserung. Ihre Gesamtprodukte aus Text, Musik, Begleitkommentaren, Inszenierungen, Ästhetik und Publikumsresonanzen bieten kaum Interpretationsspielräume. Die Auseinandersetzungen mit diesen Bands drehen sich demnach um die Frage, wie ihre Aussagen politisch einzuordnen sind. Der Analyse, dass die Band rechte Positionen vertritt, stellt diese ihre Selbstwahrnehmung als nicht rechte Band entgegen.

Mit manchen Bands ist die Auseinandersetzung noch komplexer. Zum Beispiel mit der deutschen Pop-Band Rammstein, die medial zuweilen als »Rechts­rocker« benannt werden. Kritikwürdig war in der Vergangenheit insbesondere deren Zugriff auf nationalsozialistische Symbolik und Ästhetik, wie in der Ausführung zu »Deutschrock« genauer beschrieben wird. Den vorerst letzten »Skandal« provozierten Rammstein 2009 mit ihrem Song und Video »Pussy«. In diesem Songtext heißt es:

»Too big, too small, size does matter after all. Zu groß, zu klein, er könnte etwas größer sein. Mercedes Benz und Autobahn, alleine in das Ausland fahren. Reise, Reise, Fahrvergnügen, ich will nur Spaß, mich nicht verlieben. Just a little bit, just a little bitch, You’ve got a pussy, I have a dick, so what’s the problem?, let’s do it quick. So take me now before it’s too late, life’s too short so I can’t wait. Take me now, oh, don’t you see, I can’t get laid in Germany. To short, to tall, doesn’t matter one size fits all. Zu groß, zu klein, der Schlagbaum sollte oben sein. Schönes Fräulein, Lust auf mehr? Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr. Schnaps im Kopf du holde Braut, steck’ Bratwurst in dein Sauerkraut (…).«

Das Video zeigt Pornoszenen und Rammstein-Sänger Till Lindemann in schwarzer Ledermontur, mit machohaften Gesten als Sänger und Redner vor der Deutschland-Fahne und – Schnitt – im muffigen Morgenmantel Zeitung lesend auf der Wohnzimmercouch. Eine Putzfrau staubsaugt um ihn herum und hat nichts Eiligeres zu tun, als mit ihm den Geschlechtsakt zu vollziehen, wobei er sie schlägt und entwürdigt. Den Liedtext singt Lindemann mit extra lang gerolltem »R« in Worten wie »Blitzkrieg«.

Wie dieses Musikschauspiel zu verstehen ist, hängt davon ab, wie es die Konsumierenden verstehen wollen. Zum Beispiel als Persiflage auf deutsche Männer, die ihren Mittelmeerurlaub als einen Feldzug sexueller Eroberungen inszenieren, dem die schwarz-rot-goldene Fahne voran weht – und die sich dabei so nazimäßig und zum Fremdschämen peinlich aufführen, wie es der Rollenspieler Till Lindemann im Videoclip und auf der Bühne vorführt. Aus dieser Perspektive wird das Lied zur Kritik an Sexismus und soldatischer Männlichkeit. Die, die sich nicht fremdschämen, verstehen dieses Lied eher als Bekenntnis und Botschaft des Sexismus und bringen sich bei ihrem Trip ans Mittelmeer auf der Autofahrt mit Rammstein in die entsprechende Stimmung. Und viele, gerade Jugendliche, scheren sich wenig um Subtext und »performativen Widerspruch«. Für sie ist das Lied oft nur »krass« und taugt zur Provokation der »Moralapostel«, von denen sie sich gemaßregelt und eingeschränkt fühlen. Die Interpretier­barkeit des Songs meint nicht, dass diese Inszenierung von Rammstein nicht kritikwürdig ist, doch sie erfordert eine andere Kritik wie die an vielen Deutschrock-Bands, Oi-Bands oder Gangster-Rappern wie Fler, die eindeutig positiv konnotierte Bekenntnisse und Selbstbilder der überpotenten, sexistischen Männer(-Gangs) präsentieren.

 

Spiegel gesellschaftlicher Dominanzkultur

Aus diesen Diskussionen sind in der Regel die Perspektiven derer ausgeblendet, die unmittelbar von Diskriminierungen betroffen sind, obgleich diese tatsächlich entscheidende Beiträge zur Wertung eines Songs oder einer Band leisten. Selbst wenn mit einem Lied von den Interpret*innen keine Diskriminierung beabsichtigt ist, so funktioniert es dennoch diskriminierend, wenn für unmittelbar betroffenen Menschen die Chiffren und Subtexte des Liedes nicht eindeutig sind. Gerade wenn Männer vorgeben, sich »doch nur« über Sexismus lustig zu machen, oder wenn weiße Deutsche Rassismus oder Antiziganismus karikieren (wollen), so erschließen sich ihre »Spaßkultur« und ihre Provokationen nicht unbedingt denjenigen, die andere gesellschaftliche Positionen und Lebensrealitäten haben: Frauen, Schwarze, Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle, Behinderte, Sinti, Roma etc. Viele Musiker*innen, Veranstaltende, Fans, Rezensent*innen und Feuilletonist*innen begegnen den Betroffenenperspektiven mit Nichtbeachtung oder Geringschätzung und mit Empathielosigkeit.

So wird das Rollenspiel mit anderen Identitäten zur Gratwanderung, die schnell misslingen kann. Was nach Ansicht der Musiker*innen angeblich »die Gesellschaft« provozieren soll, provoziert mitunter vor allem Betroffene. So fühlen sich beispielsweise Sinti und Roma, die den Rapper Marteria nicht kennen, von diesem brüskiert, wenn der weiße, deutsche Nicht-Sinto Marteria sich auf der Bühne als »Marsi, der Zigeuner« stilisiert und negative Zuschreibungen für Sinti und Roma in seinem Liedtext präsentiert (siehe Antiziganismus). Sie und viele andere Hörer*innen wissen nicht, dass das Gesamtbild Marterias und seines Schaffens nur den Schluss zulässt, dass Marteria diesen Song als Anklage gegen Antiziganismus gemeint hat. Kann von Sinti und Roma verlangt werden, sich (erst) in den Gesamtkontext von Materia einzuarbeiten, bevor sie sich eine Meinung bilden?

Ein anderes Beispiel: Viele Frauen fühlen sich entwürdigt, wenn aus angeblich »nicht ernst gemeinten« Songs die Schlagworte »Schlampe« und »Bitch« hervordringen, und sie im weiteren Text weder Hintersinn noch Witz erkennen. Ist es Frauen zuzumuten, in Clubs oder auf Partys – in diesen Fällen also gar unvermittelt – den »Pussy«-Song von Rammstein ertragen zu müssen? Wie kann bzw. »darf« sich eine Frau dagegen wehren, ohne dass sie Vorwürfe erfährt, wie »doch keine Ahnung« zu haben oder alles »viel zu eng« zu sehen? Oder Vergleichen mit den »anderen Frauen« ausgesetzt zu werden, denen dieses Lied angeblich »doch auch nichts ausmachen« würde? Diese bekannten Argumentationen zielen darauf ab, die Kritik und vor allem die Kritikerinnen nicht ernst nehmen zu müssen und als »Spaßbremsen« auszugrenzen.

Dass Musiker*innen und mit ihnen viele Fans aus privilegierten Positionen heraus festlegen, wie etwas zu verstehen sei bzw. dass sie den unmittelbar von Diskriminierung Betroffenen vorschreiben, wie diese etwas (gefälligst) zu verstehen und zu empfinden hätten, ist Ausdruck einer Dominanzkultur. Über positiv besetzte Begriffe wie Unbefangenheit, Offenheit und Toleranz wird diese verschleiert und manifestiert.

Genau hinhören und hinsehen und weiter informieren!

Wenngleich wir uns in unseren Untersuchungen und Analysen vielfach auf Musiktexte und Interview-Aussagen stützen, so haben wir darauf geachtet, diese nicht aus ihrem Kontext zu reißen, sondern alle wesentlichen Faktoren zu berücksichtigen und den Gesamtzusammenhang der jeweiligen Bands zu erfassen. Bands, bei denen wir Brüche und gezielte Uneindeutigkeiten in ihren Aussagen und Inszenierungen feststellen können, wie beispielsweise Rammstein, sind aus den nachfolgenden Analysen ausgeklammert oder entsprechend vermerkt. Natürlich muss die kritische Auseinandersetzung auch mit diesen Bands geführt werden. Mehrere Bücher und viele Artikel haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur mit den verschiedenen Facetten des Rechtsrock beschäftigt, sondern auch mit den Schnittstellen rechter Musik zum Mainstream oder zu nicht rechts codierten Szenen. In den nachfolgenden ­Artikeln, insbesondere in den Milieuzeichnungen, sind Hinweise auf weiterführende Literatur enthalten.

 

1 Dt. »Wenn du willst kannst du jetzt, alle Fenster einwerfen. Alles was du dafür brauchst sind ein paar Freunde und den Stein. Nie zuvor hat es sich so verdammt gut angefühlt, einen Pflasterstein zu werfen. Schmeiß mehr Scheiben ein.«
2 Dt. »Morgen hast du kein Zuhause mehr, aber heute Nacht knallt es.«
3 Zit. nach Diskussion um eine mögliche Konzertabsage von Stomper 98, www.conne-island.de/nf/159/5.html, abgerufen: 20.8.2015

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