Oi, in der eigenen Szene meist »Oi!« geschrieben, ist ein Label der Punk- und Skinhead-Kultur, dass sich 1980 durch den in England produzierten Musiksampler »Oi The Album« international etablierte. Oi hat in der Regel kein politisches Selbstverständnis, viele Anhänger*innen interpretieren ihn als Punk, der sich zwar gesellschaftskritisch gibt, jedoch keinerlei politische Ambitionen hat und Spaß- und Partykultur in den Vordergrund stellt. Szenen, die sich dezidiert als »Oi-Szenen« verstehen, formierten sich in den vergangenen Jahren in Deutschland meist um Skinhead-Cliquen. Gerade unter rechten Skins erlebt Oi heute ein Comeback, während als Gegenreaktion in den letzten Jahren unter eher linken Skinheads und Punks Parolen eines »Antifascist Oi« an Popularität gewannen. In rechten wie auch nicht-rechten Oi-Spektren werden von einigen Bands und Fankreisen die Kommerzialisierung des Oi – gerade in der Vermengung mit dem Label des Deutschrock – als »Verrat an der Idee« angefeindet.
Mit dem Oi entwarf die Musikindustrie ab 1979 einen Punk, der sich von den Einflüssen von Kunst und Politik abkoppeln sollte und für sich in Anspruch nimmt, das »wahre Leben« auf der Straße widerzuspiegeln. Um neue Konsument*innen zu bedienen, sollte Schluss sein mit Experimenten jedweder Art, mit musikalischer Avantgarde, mit Intellektualität – bzw. mit dem, was man darunter verstand –, mit dem Spiel der Geschlechterrollen, mit Ambivalenz und vor allem: mit Politik. Punk sollte Spaß und authentische »Working Class« sein. Die dazu entworfene Oi-Musik ist eingängiger, schnörkellos gespielter Punk mit hymnischen Refrains, die zum Mitgrölen animieren. Das musikalische Schema ist explizit darauf angelegt, eine Massendynamik zu erzeugen, die Refrains oder einzelne Textzeilen sind zum kollektiven Fäusterecken konzipiert.
Ab 1980 drifteten einzelne Oi-Bands und -Fans in extrem rechte Kreise, so zum Beispiel die englische Band Skrewdriver und die deutschen Bands Böhse Onkelz und Endstufe, die jeweils kurze Einstiegsphasen als Punkbands hatten, und sich über das Scharnier des Oi schnell nach rechtsaußen politisierten. Die Folge war, dass extrem rechte Skinszenen Oi immer mehr für sich beanspruchten. Gerade dem Teil der Skinheads, der nun immer offener rassistisch und neonazistisch agierte, verschaffte Oi die Möglichkeit, die multiethnischen Wurzeln ihrer Kultur zu kappen. Der Widerspruch, einer White-Power-Szene anzugehören, deren originale Skinhead-Musik – Reggae und Ska – untrennbar mit schwarzer Musik verbunden ist, ließ sich nicht auflösen und aushalten. Oi bot nun eine neue musikalische »Heimat«, die man als weiße, europäische Erfindung ansah.
Skinheads sind keine homogene Szene, sondern längst in eigenen Szenen aufgelöst. Redskins und RASH-Skinheads (Red and Anarchist-Skinheads) bewegen sich vielerorts in der politischen Linken. Traditionelle Skinheadszenen bekennen sich zu den schwarzen Wurzeln der Skins (Ska und Reggae) und sind bemüht, einen politikfreien Raum zu gestalten, an dem zumindest keine »Extremisten« partizipieren sollen. Die extrem rechte Skinszene, die seit den 1980er Jahren das mediale Bild der Skinheads in Deutschland prägt, versteht sich hingegen explizit als Teil der »Nationalen Bewegung«, wenngleich sie eine eigene kulturelle Identität betont und vorgibt, sich nicht von rechten Parteien vereinnahmen lassen zu wollen.
Die bis heute weit verbreitete Behauptung, Skinheads hätten antirassistische Wurzeln, ist – trotz aller Wiederholungen selbst in der sogenannten Fachliteratur – falsch. Jedoch findet sich eine »multiethnische« Vergangenheit dieser Jugendkultur. Die Skinheads der Gründerzeit Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in England waren beeinflusst von und verbündet mit den Rude Boys, Nachkommen karibischer Migrant*innen, die in Banden zusammengeschlossen waren. Die Skin-Musik dieser Zeit war (und ist in traditionsgebunden Skinhead-Szenen) Ska und Reggae, eine schwarze Musik, die in England geprägt wurde von den Rude Boys, die sich selbstbewusst zu ihren schwarzen Wurzeln bekannten. Schwarze waren in die »Working Class« der Skinheads integriert, man arbeitete zusammen auf den Docks, ging zusammen kegeln, zog als Bande umher. Häufig waren in dieser Zeit Schwarze Anführer der Skinhead-Gangs.
Die Skinheads der frühen 1970er Jahre waren es jedoch, die den Begriff »Paki-Bashing« erfanden, übersetzt: »Pakistanis verprügeln«. Skinheads hatten eine patriotisch aufgeladene »Working Class«-Identität. Migrant*innen aus Indien, Pakistan und Bangladesch galten in der öffentlichen Meinung als »windige Geschäftsleute«, die keiner »ehrlichen Arbeit« nachgingen, sich nicht der englischen Leitkultur und auch nicht der Arbeiterkultur anpassten und angeblich in (heute so genannten) »Parallelgesellschaften« abschotteten. Tatsächlich fanden sie billigen Wohnraum zumeist eher in den Arbeiterquartieren und errichteten dort eine Nischenökonomie. Sie waren meist aufstiegsorientiert, gelangten hier und da zu bescheidenem Wohlstand, während die Auflösung und Verarmung der englischen Arbeiterklasse voranschritt. Die Migrant*innen aus Asien galten als Eindringlinge und wurden für die Veränderung des von proletarischer Kultur geprägten eigenen Sozialraums verantwortlich gemacht. Zudem waren sie »leichte Opfer« der Skinhead-Gangs, zumal sie oft nicht die Lobby und die Organisierung hatten, sich nachhaltig zu wehren. In englischen Städten kam es in diesen Jahren wiederholt zu Krawallen, bei denen Skinheads Migrant*innen aus Asien und deren Geschäfte angriffen.
Tatsächlich richtete sich die Aggression der »Working Class«-Skinheads kaum gegen privilegierte Bevölkerungsschichten, weder gegen die (herkunfts-)englische Mittelschicht, noch gegen Vertreter*innen der herrschenden Klasse, die die Auflösung der Arbeiterklasse betrieb und für Massenentlassungen in den Fabriken und auf den Werften verantwortlich war. So agierten Skinheads zu dieser Zeit, wenngleich »multiethnisch« aufgestellt, als Vollstrecker weit verbreiteter rassistischer Vorurteile gegen Migrant*innen aus Asien.
Etliche weiße Skinheads in England radikalisierten sich in den Folgejahren unter dem Einfluss der extrem rechten National Front (NF). Das, was bei ihnen in den 1970er noch als partieller Rassismus auftrat, ging sukzessiv in das Überlegenheitsdenken einer »weißen Rasse« über. Die (ehemalige) Oi-Band Skrewdriver lieferte 1983 mit dem Lied »White Power« den dazugehörigen Soundtrack. Das Bündnis mit den Rude Boys war zu diesem Zeitpunkt längst geplatzt. Die multiethnischen Skinhead-Gangs verschwanden zunehmend und die, die blieben, wurden zur Randerscheinung.
Oi markierte um 1980 einen Bruch mit dem Punk. An die Stelle eines diffusen Haufens von Individualist*innen, die eine Außenseiter-Ästhetik und die gemeinsame Lust an Protest und Provokation verband, trat nun vielfach die Vergemeinschaftung in und die Ästhetisierung als Männergangs. Punks markierten sich selbst als gesellschaftliche Verlierer*innen, kehrten dies selbstbewusst und provokativ ins Positive. Dieses Self-Labeling als »Loser« wurde im Oi vielfach ersetzt durch ein Selbstbild der Sieger der Kämpfe auf der Straße und in den Fußballstadien. Die Trash-Ästhetik des Punk wich einem Männlichkeit wie Weiblichkeit betonenden Körperkult. Dem ansatzweise stattfindenden Aufbrechen normierter Geschlechterbilder im frühen Punk folgte nun deren Wiederherstellung und Konservierung.
Die Aufweichung der Geschlechterrollen und das Verletzliche, das Punk trotz all seiner zur Schau gestellten Härte und Aggressivität verkörperte, galt manchen in den Punkszenen schon immer als zu ambivalent und zu hippiesk. Der »Hippie« wird seit jeher im Punk und insbesondere im Oi als Feindbild kultiviert.
Die Hippies waren in der Gründungszeit des Punk das Sinnbild einer untergehenden Protestgeneration. Um das Eigene, das Neue in Szene zu setzen, war es wichtig, sich radikal vom Alten abzugrenzen. Subkultur funktioniert kaum anders. Der Hippie-Generation wurde und wird vorgeworfen, sich beim Marsch in die Institutionen korrumpiert zu haben. Sie wurde bereits in den 1970er Jahren als Teil des Establishments angefeindet, das Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Journalist*innen und Musikbands hervorbrachte, die den moralischen Zeigefinger erhoben, ohne überhaupt (noch) eine Ahnung vom »wahren Leben auf der Straße« zu haben. Die Hippies waren die »Moralapostel« ihrer Zeit, die man mit dem Terminus von Hass und Zerstörung vortrefflich schockieren konnte.
»Der Hippie« und synonym »der Kiffer« waren gerade in rechtsaffinen Teilen der Punkszenen jedoch auch Synonyme für den Mann, der sich nicht wehrt und verweiblicht. Die Verherrlichung des legalen, als männlich empfundenen Vollrausches und die Verteufelung illegalisierter »weicher« Drogen ist seit jeher Primat des stockkonservativen Männerstammtisches, und sie etablierte sich vor allem in den rechten Strömungen des Oi.
Für die »Working Class«-Skinheads war und ist die Abgrenzung zu Studierenden und Hippies konstitutiv. Männlicher Arbeitsethos und heterosexuelle Normvorstellungen verbanden sich mit Intellektuellenfeindlichkeit und Schwulenfeindlichkeit. Nick Lowles und Steve Silver schreiben über die Skinheads der späten 1960er, frühen 1970er Jahre: »Der Skinhead-Kult erfreute sich auch eines ausgeprägten Machismos, und so waren Angriffe auf schwule Männer an der Tagesordnung. Das sogenannte ›Queer-Bashing‹ bedeutete nicht nur Angriffe auf schwule Männer. Sondern auf alle, die nicht einer in den Augen der Skinheads akzeptablen männlichen Erscheinung entsprachen.« 1
Skinheads sind – wie auch Rocker und Hooligans – ein Männer-Gewalt-Kult. Wohl findet in linken Skinheadkreisen eine kritische Reflexion darüber statt, doch er ist Teil der Verfasstheit der Skinheads und deswegen nur in Ansätzen veränderbar.
In den »Grauzonen« des Oi werden reaktionäre Geschlechterbilder nicht als politische Einstellung und schon gar nicht als Ideologie angesehen, sondern – wie vieles andere – als Ausdruck von Normalität und Natürlichkeit und als Teil einer Kultur, die »doch nur Spaß haben« will. Dementsprechend dominiert dort die Ansicht, stets überinterpretiert und missverstanden zu werden.
Oi verlor ab Mitte der 1980er Jahre stark an Bedeutung. Nichtrechte Punkbands, die zeitweise als Oi-Bands aufgetreten waren, nahmen von von Oi Abstand, da ihnen zu viele Rechte in der Szene waren und Konzerte nicht selten in Schlägereien endeten. Andererseits rückte auch die Neonaziband Skrewdriver von Oi ab, schuf mit »Rock Against Communism«, »White Noise« und später »Blood & Honour« eigene Labels, die ihre politische, extrem rechte Identität betonten und sich von der als zu unpolitisch empfundenen Spaß- und Saufkultur des Oi abgrenzten.
Oi erlebt in den letzten Jahren – nicht nur, aber insbesondere in Deutschland – wiederum ein Comeback in der Rechten. Um eine ungestörte Durchführung von Rechtsrock-Konzerten zu gewährleisten, sind diese heute vor allem in Deutschland bisweilen als unpolitische Oi-Events deklariert. Der Rückgriff der extremen Rechten auf den Oi ist demnach – ähnlich wie beim Deutschrock – auch eine Konsequenz der zunehmenden Repression gegen den Rechtsrock. Nach Ausflügen in den organisierten Neonazismus kehrte die noch bestehende Bremer Band Endstufe (»Wir sind eine Skinhead Band! Nicht mehr und nicht weniger!«) zum spaßorientierten Skinhead-Kult zurück. Die belgische Band Kill, Baby Kill! gab die Parole »Give back the Oi! to the white working Class« aus. Beide Bands dienen, trotz ihrer eindeutig neonazistischen Verortung, als Scharnier von extremer Rechter zu sich »unpolitisch« verstehenden Oi-Szenen.
Auch die »Nationale Bewegung« veränderte sich. Neuere Strömungen wie die »Autonomen Nationalisten« (AN) werden von vielen rechten Skinheads als Modeerscheinung und als Konkurrenz gesehen. Mit ihnen und mit Anhänger*innen des NS-Hardcore (NSHC) kamen Ideen beispielsweise von Vegetarismus und Alkoholverzicht, was den strikt konservativen und auf ihren »Kult« beharrenden Skinheads nicht zu vermitteln war.
Vor diesem Hintergrund bildet sich seit Mitte der 2000er Jahre in Deutschland eine rechte Skinheadszene heraus, in der »Skinhead-Kult« und »Working Class«-Habitus (wieder) den primären identitären Bezugsrahmen bilden. Sie bindet viele Personen, die sich mit dem Verlust einer gemeinsamen kulturellen Erlebniswelt den neonazistischen Kameradschaften und der NPD entfremdet haben. Die Angehörigen dieser Szene geben in der Regel Distanz zu neonazistischen Gruppen vor und haben häufig das Selbstverständnis, politisch nicht (mehr) aktiv zu sein. Das meint in der Regel: nicht (mehr) auf Aufmärsche zu gehen, nicht (mehr) einer aktionsorientierten Neonazigruppe anzugehören. Das Zeigen extrem rechter Symbolik, das Bekenntnis zu neonazistischen Bands oder auch die Verbreitung extrem rechter Musik (beispielsweise im Internet und über Labels) wird, da im »kulturellen« Raum stattfindend, nicht als politische Aktivität gewertet und in dieser Szene akzeptiert.
Führende deutsche Bands eines rechten Oi-Milieus sind Gerbenok, Martens Army und Schusterjungs. Insbesondere Schusterjungs gelangten um 2010 als vermeintlich unpolitische Band auf große Punk- und Deutschrock-Festivals. Doch sie konnten sich dort nicht etablieren. Nachdem von antifaschistischen Kreisen die strukturelle und soziale Nähe der Schusterjungs zu extremen Rechten thematisiert wurde und sich Bands weigerten, auf Festivals zusammen mit Schusterjungs aufzutreten, nahmen einzelne Veranstaltende Abstand von der Band. Die Schusterjungs richteten sich wieder im rechten Spektrum ein.
Oi und Deutschrock verwuchsen in den vergangenen Jahren miteinander. Auf Konzerten spielen Bands beider Genres häufig miteinander, viele Festivals und manche Bands legen sich nicht mehr auf ein Label fest, sondern verkoppeln aus kommerziellen Gründen beides miteinander. Der Oi-Punk verleiht dem Deutschrock einen (attraktiven) subkulturellen und gegenkulturellen Habitus.
Im Gegensatz zum Deutschrock ist Oi jedoch stark international ausgerichtet. Rechte Oi-Konzerte mit Beteiligung deutscher Bands und Fans finden in (fast) ganz Europa und in Übersee statt. Auf Konzerten in grenznahen Regionen beispielsweise in Tschechien dominieren Teilnehmende aus Deutschland. Auf Oi-Konzerten und -Festivals in Deutschland treten häufig englische Oi-Bands auf, die in der Szene als »Kultbands« gelten.
Derartige Events sind meist von der Generation der über 30-Jährigen geprägt. In der Männerwelt des Oi findet nur eine sehr überschaubare Anzahl etablierter »Szenefrauen« Anerkennung. Als Musikerinnen spielen Frauen – ebenso wie im Deutschrock – fast gar keine Rolle.
1 Nick Lowles, Steve Silver: Vom Skinhead zum Bonehead, in: White Noise, Hamburg/Münster 2001. S.21
Tipps zum Weiterlesen:
aus: Antifaschistisches Infoblatt, Skins, Punks, Bootboys – Einblicke in die Grauzone – Wo unpolitisch oftmals rechts ist, Nr. 91, Berlin 2011, www.antifainfoblatt.de
www.antifainfoblatt.de/artikel/kult-der-beliebigkeit-teil-1
www.antifainfoblatt.de/artikel/dem-skinhead-kult-treu
www.antifainfoblatt.de/artikel/einfach-nur-eine-skinhead-band
www.antifainfoblatt.de/artikel/oi-aint-red-die-grauzone-am-beispiel-der-bootboys-hildesheim
Martin Büsser: »Wie klingt die neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik«, Ventil-Verlag, Mainz 2001.