Soziale Ungleichheit bezeichnet die ungleiche Verteilung von Chancen, Zugängen und (materiellen wie immateriellen) Ressourcen in einer Gesellschaft und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Möglichkeiten zur Teilhabe. Ungleichheitsideologien sind Vorstellungen, die wiederum Bilder, Kategorien und Wertvorstellungen ihrer Träger*innen leiten. Sie dienen ihnen dazu, ihr Handeln zu begründen und zu rechtfertigen – und auf diese Art soziale Ungleichheiten zu reproduzieren und zu festigen. Ungleichheitsideologien sind historisch entstanden und unterschiedlich wirkungsmächtig. Ungleichheitsideologien trennen Menschen, kategorisieren und hierarchisieren sie: Sie werten Menschen auf, schließen sie als dazugehörig ein (Privilegierung) und legitimieren deren Herrschaft (Dominanzkultur); sie werten Menschen als »Andere« ab, weisen ihnen Positionen am Rand zu (Marginalisierung) und nutzen ihre Macht über diese (Diskriminierung, Unterdrückung).
In den von uns untersuchten rechten Lebenswelten in Musik- und Fußballfankulturen existieren unterschiedliche Ausprägungen und Gewichtungen von Ungleichheitsideologien. Die Idee und Praxis von Ausschluss und Segregation der »Anderen« ist allgegenwärtig. Jedoch finden sich dort – zumindest in Liedtexten – nur sehr selten Vernichtungs-Fantasien und keine offenen Bekenntnisse zu »White Power«. Es wird sich nicht explizit um die »Entartung« eines »Volkskörpers« oder einen »weißen Rasse« gesorgt, der identitäre Bezugsrahmen ist meist kleinformatiger. Referenzrahmen ist in der Regel das, was als »ganz natürliches Volksempfinden« wahrgenommen wird und in der gesellschaftlichen Mitte verankert ist.
Häufig wird die eigene Toleranz betont, die gegenüber den »Anderen« aufgebracht wird. Diese gilt jedoch nur solange diese keine Ansprüche stellten, die als unangebracht empfunden werden. Denen, die als abweichend markiert sind, werden Rollen und Räume zugewiesen, in denen diese »unter sich« zu bleiben hätten. Ihre Teilhabe am öffentlichen Leben wird begrenzt. So wird beispielsweise vielfach die Anwesenheit von Schwulen und Lesben in Lebensbereichen, die als »eigene« Räume verstanden werden (zum Beispiel Stadion, Treffpunkt, Gruppe, Familie), als Bedrohung und Statusverlust empfunden. Der Berliner Rapper Bushido beschreibt in seinem Buch »Auch wir sind Deutschland« (2014) seine Angst davor, sollte sich sein Sohn eines Tages als schwul outen:
»Ich habe neulich sogar meine Frau gefragt, was wir machen würden, wenn wir einen Sohn bekommen würden und der würde schwul werden. Das wäre uns beiden höchst unangenehm und auch meine Frau hat Angst davor. Wir würden uns definitiv nicht darüber freuen, aber natürlich sagt sie, natürlich wäre er dann immer noch ihr Sohn, und natürlich, sage ich, wäre er dann noch immer mein Sohn, den ich lieben würde – aber es wäre Absturz.«
DIE REDUKTION VON DISKRIMINIERUNG
In den von uns untersuchten rechten Lebenswelten herrscht ein stark eingeschränktes und subjektives Verständnis davon, was Diskriminierungen sind. Häufig werden Kritik und Konsequenzen,
die eine*n selbst betreffen, als Diskriminierung empfunden und benannt. Jenseits der Perspektive eigener Betroffenheit existiert dafür kaum Sensibilität. Ungleichwertigkeit wird nicht als ein Problem von Gesellschaft und sozialer Ordnung erkannt, Diskriminierungen werden reduziert auf physische Gewalt und auf das Tun extremer Rechter. In dieser Vorstellung basiert Diskriminierung immer auf einem politisch bewussten Handeln. Diese Reduktion trägt dazu bei, dass sich die (sich selbst als unpolitisch definierenden) Ex-ponent*innen rechter Lebenswelten von allen Vorwürfen freisprechen. Die, die nicht Zielgruppen von Rassismus oder Homosexuellenfeindlichkeit sind, bestimmen darüber, was Diskriminierung sei. Tatsächlich Betroffene haben kaum Mitspracherechte. Diskriminieren-de Äußerungen und Handlungen werden abgestritten (»Es ist doch gar nicht rassistisch!«), bagatellisiert (»Es ist doch gar nicht so gemeint!«) oder es werden niedere Motive unterstellt (»Sie schieben das doch nur vor um sich Vorteile zu verschaffen!«).
VERINNERLICHTE DOMINANZ, VERINNERLICHTE UNTERDRÜCKUNG
Ungleichheitsideologien wirken als Dominanz und Herrschaft auf der einen Seite und als Unterdrückung und Unterordnung auf der anderen Seite. So gegensätzlich diese Pole auch sind, so heißt dies nicht, dass sich Dominante und Untergeordnete konträr gegenüber stehen müssen. Ein Beispiel: Erwerbslose oder Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen zahlen einen Eintrittspreis von über 20 Euro für eine Veranstaltung mit dem ehemaligen Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin, um dessen vorurteilsbeladene Tiraden gegen die »Unterschicht« zu bejubeln. Diejenigen, die vom Klassismus der Eliten unmittelbar betroffen sind, machen sich selbst zu Träger*innen des Klassismus. Ähnliches lässt sich bei allen anderen Ungleichheitsideologien beobachten.
Eigenes Dominanzverhalten ist bei vielen kein dezidierter Ausdruck eines politisch-ideologischen Programms. Selbst Menschen, die sich ehrlich gegen Diskriminierung wenden, üben dieses oft unbewusst und unreflektiert aus. Ebenso wird von Manchen ihre Diskriminierung durch gesellschaftliche dominante Gruppen nicht als solche wahrgenommen und in Frage gestellt. Entsprechenden Verhaltens- und Rollenmuster sind durch Alltag und Sozialisierung derart eingeübt, dass sie als »ganz normal«, »ganz natürlich« und »immer schon so gewesen« akzeptiert und reproduziert werden. Die neuere Forschung versucht dies durch das in den USA entwickelte Modell »Verinnerlichte Dominanz und verinnerlichte Unterdrückung« (englisch: internalized domination and subordination) zu fassen: »Conditions of oppression in everyday life become normal when we internalize attitudes and roles that supprt and reinforce systems of domination without question or challenge.« 1 Übersetzt: »Alltägliche Unterdrückungsverhältnisse werden normal, wenn wir Haltungen und Rollen verinnerlichen, die Dominanzsysteme unterstützen und verstärken, ohne sie in Frage zu stellen oder herauszufordern.«
KONSTRUKTIONEN DER WIR-GRUPPEN
Innerhalb der rechten Lebenswelten findet die Bildung von Wir-Gruppen vorrangig im Rahmen von Clique, Szene oder Region statt. Problematisch werden diese, wenn das Selbstverständnis als Wir-Gruppe auf Kategorien gesellschaftlicher Dominanz aufbaut, wie deutsch, christlich sozialisiert, heterosexuell und/oder Mann. Die Konstruktionen der Wir- und Fremd-Gruppen geschehen oft situativ und sind davon abhängig, in welcher Konstellation sich die Individuen zusammenfinden. Trifft man sich als Männerbund, erfahren Frauen und Homosexuelle Abwertung. Inszeniert sich die lokale Gemeinschaft, so werden mitunter bereits Bewohner*innen der Nachbarregionen als »anders« und fremd ausgeschlossen. Bei Fußball-Länderspielen wird – unter Einbeziehung von Frauen und regionalen Nachbar*innen – die Überlegenheit des Deutsch-Seins proklamiert und bei Zurückweisung der Ansprüche von Geflüchteten und Muslim*innen wird eine westliche oder europäische Identität angenommen. Der kontextabhängige Wechsel der Identität verfolgt das Interesse, sich selbst jederzeit in die Position der Überlegenheit und Etablierten setzen zu können, einen Herr-im-Haus-Standpunkt einzunehmen und von denen, die als »anders« festgelegt sind, rigide Anpassung und Unterordnung einzufordern.
1 Maurienne Adams, Lee Ann Bell, Pat Griffin, Teaching for Diversity and Social Justice, second edition, Routledge, 2007, S. 11