Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Rebellion: 
»Wir brauchen eure feine Welt nicht, das werdet ihr schon sehen.«

»Rebellion« war, bezogen auf die westliche Welt seit dem Ende des II. Weltkriegs, stark an nonkonformistische Jugend- und Subkulturen gebunden, die gegen die dominante Erwachsenenwelt aufbegehrten. Ein Sprachrohr dessen war Rockmusik mit ihren spezifischen Genres. Rockmusik ist seit jeher auch der Simulator der Flucht aus gesellschaftlichen Konventionen und das Versprechen eines »wilden« Lebens, das die Rockstars stellvertretend für ihre Fans führen sollen. Insbesondere Gangster-Rapper, aber auch Bands wie Böhse Onkelz formulieren darüber hinaus das Versprechen von Erfolg und gesellschaftlichen Aufstieg, das sich nur selten einlöst und viele Fans in dem Gefühl zurück lässt, von der Welt (nicht von den Bands!) betrogen zu werden. Auch das lässt sie im eigenen Verständnis zu Rebell*innen werden.

Bis in die 1980er Jahre herrschte ein gesellschaftlicher Konsens, der vom Individuum Anpassung und Unauffälligkeit verlangte. Die Phase der Jugendkultur endete in der Regel mit dem Eintritt in das Arbeitsleben und der Gründung einer Familie. Dies hat sich grundlegend gewandelt. Die neoliberale Gesellschaft fordert von jedem und jeder höchste Flexibilität im ökonomischen Wettbewerb. Dieser wiederum produziert ständig Labels und Images, die als »außergewöhnlich«, »schrill« und »rebellisch« vermarktet werden. An die Stelle gesellschaftlicher Unauffälligkeit tritt die Distinktion: sich von der breiten Masse abheben, irgendwie anders und besonders zu sein. Dies verbindet sich immer weniger mit der Emanzipation der Jugend von den Eltern. Fast alle heutigen Generationen sind mit Rockmusik aufgewachsen, der Gestus der Jugendlichkeit überträgt sich in andere Lebensaltersstufen. Aus verschiedenen Studien geht hervor, dass sich eine immer größer werdende Mehrzahl der Jugendlichen in ihrer Lebensführung an den eigenen Eltern orientiert, und dass Leistung, Sicherheit, Karriere und Einfluss für die heutige Jugend bedeutsamer sind als für vorangegangene Generationen. Das Label der »Rebellion« ist auch unter Jugendlichen häufig nur di e Chiffre für Distinktion.

»Unpolitische« Rebellion und lebensweltliche Stagnation

Punk- und Oi-Bands sowie die überwältigende Mehrheit von Deutschrock-Bands und Hiphop- Künstler*innen kultivieren das Rebellische als einen Markenkern. Die Popularität insbesondere des rechten Oi und Deutschrocks erwächst daraus, dass sie ein »Rebellenleben« bieten, das der eigenen Person nichts abverlangt. Die trotzige Abgrenzung vom »Angepassten« geht einher mit der Verinnerlichung bürgerlich-konservativer Normen und Werte. Diese reproduzieren den Wertekanon von Arbeitsethos, Familie, Nationalstolz, Antifeminismus, Intellektuellenfeindlichkeit und der Inszenierung als Männergang mit all ihren Ehrbegriffen, ihrer Ästhetik und Körpersprache. Texte und Aussagen im »unpolitischen« Oi, Deutschrock und Gangster-Rap sind in der Regel frei von progressiven gesellschaftlichen Utopien. Gerade in Oi und Deutschrock wird häufig das Leben des »einfachen Mannes« idealisiert und pathetisch aufgeladen: Dieser versteht die Komplexität der Politik nicht, vermag dort sowieso nichts auszurichten und findet sei- ne Erfüllung darin, mit »echten Freunden« Exzesse zu erleben. Die Liedtexte skizzieren kein »anderes Leben«, sondern zielen darauf, die eigene, unveränderlich erscheinende Lebensrealität zum »anderen Leben« zu erklären und als aufregende Erlebniswelt aufzuwerten.

Die »unpolitische« hessische Oi-Deutschrock-Band Extrem Unangenehm wurde 2009 unter anderem von Musikern gegründet, die noch wenige Jahre zuvor in Neonazibands gespielt hatten. In ihrem Song »Wir bleiben Wir« singen sie:

»Manche Leute wollen uns erzählen wie wir leben sollen. Streng nach Moral, Gesetz und Ordnung, so wie sie es wollen. Doch darauf haben wir keinen Bock, da scheißen wir glatt drauf. [...] Wir bleiben wir und es wird auch niemals anders sein. Wir bleiben wir, gehen weiter unseren Weg allein Wir brauchen eure feine Welt nicht, das werdet ihr schon sehen. Werden weiter stolz und aufrecht unseren Weg alleine gehen. [...] Denkt doch, was ihr wollt, es ist uns scheißegal. Leckt uns mal am Arsch, ihr könnt uns alle mal. Geht weiter blind und taub durch euer armes Leben. Wir bleiben wir, lasst uns die Krüge heben.«

Derartige Texte drücken in ihrer Diktion die Selbstbehauptung von Außenseiter*innen gegenüber gesellschaftlichem Anpassungsdruck aus und finden sich auch im Repertoire von Bands, die an linke Szenen gebunden sind. Extrem Unangenehm steht jedoch für eine Szene, die sich reflexhaft allem verweigert, was mit Politik, Diskurs, Innovation, Aufbruch, Prozess und Bewegung assoziiert ist. An deren Stelle tritt die Gemeinschaft, die nur sich selbst verpflichtet ist und sich und ihre rebellische Attitüde in rituellen Saufgelagen stets aufs Neue beschwören muss.

rebellion

Hardcore-, Punk- und Deutschrockbands treten auf dem Ehrlich & Laut-Festival in Hessen unter dem Motto »Die Rebellion geht weiter!« auf.

Protestkultur gegen die » Auswüchse« der gegenwärtigen Gesellschaft

Die konservativen Rebell*innen begegnen allen Lebensmodellen, die ihnen komplex oder modern erscheinen, mit tiefer Abneigung. Martin Büsser schreibt in Bezug auf Oi-Skins:

»Ihre Einstellung und ihr Auftreten sind nicht deshalb verwerflich, weil sie sich gegen neoliberale Smartheit und Überheblichkeit aussprechen, sondern weil ihr Anspruch auf einen proletarischen Lebensstil selbst noch bei den Nicht-Naziskins [...] all die Feindbilder mit übernommen hat, die wir schon von den Nazis her kennen – den Hass auf Glamour, Weltgewandtheit, Gender-Crossing, Ironie, Intellektualität, Scharfsinn und urbane Freude an der Vielfalt sich widersprechender Eindrücke.« 1

In den von uns untersuchten Lebenswelten treffen zwei Elemente aufeinander, die sich auf den ersten Blick kaum verbinden lassen: Das Image des Rebellischen und das allgegenwärtige Anliegen, das eigene Leben als Zustand festzuschreiben, was tatsächlich häufig in Schicksalsergebenheit mündet. Dies findet seine Logik darin, dass der Glaube an die Unveränderlichkeit des Individuums und seiner*ihrer sozialen Ordnung zum Akt des Rebellischen erklärt wird. Auch am Beispiel von Frei. Wild wird dies deutlich: Es ist ein konservatives Aufbegehren gegen eine Gesellschaft, in der tradierte Identitäten und Ordnungen zunehmend in Frage stehen. Dies befördert den Rückzug in eine Welt, die verständlich und übersichtlich erscheint, und in eine Gemeinschaft, die Zugehörigkeit, Identität sowie Sicherheit vermittelt. Dies meint das Festhalten an bewährten sozialen Ordnungssystemen (Familie, Dorfgemeinschaft), die Sehnsucht nach der Einfachheit des Lebens und nach Überschaubarkeit des Sozialraumes, die Identifizierung mit der Heimatregion, Verwurzelung und Bodenständigkeit als Gegenentwurf zur allseits geforderten Flexibilität. Rechte Deutschrock-Bands agieren in der Regel als Sprachrohr einer nicht urbanen Jugend, die selbstbewusst zu ihren Werten und ihrem Leben steht. Frei.Wild schreibt im Selbstinterview: »Ja, die Band ist überzeugt von bestimmten konservativen Werten und findet auch wahrlich nichts Verwerfliches daran. Hierzu zählen Werte wie Freundschaft, Familie, Loyalität, Gerechtigkeit, Tradition und Kultur. Rock’n Roll uncool? Mag sein, aber wen kümmert es?« 2

OICLUQUEENDSTUFE

Die Bremer Band ENDSTUFE (Shirt links) bildet ein Scharnier zwischen »eher unpolitischer« und Neonazistischer Skinheadszene. Im Bild: Angehörige einer angeblich »unpolitischen« Oi-Clique aus dem Raum Koblenz im Jahr 2011. Das Bild stammt von einem Leak der Neonaziseite www.fna-netzwerk.de, August 2011. Siehe auch Artikel »Rebellion im Schützenclub« in: LOTTA – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 47, 2011.

Rebellion in den Fussballstadien

Der Fußballspieltag macht viele Grenzüberschreitungen möglich: Fahren ohne Ticket und Missachtung des Rauchverbots in den Zügen zu Auswärtsspielen, Ladendiebstähle oder Pöbeleien gegen die Polizei werden aus der Masse heraus begangen und bleiben oft ungeahndet. Almut Sülzle beschreibt dies als »karnevaleske Sonderwelt«, die vom Alltag abgetrennt werde und deren Provokation sich immer gegen eine »Normalkultur« richteten, deren als »einengend empfundenes Regelwerk (vor allem in Gestalt der Präsenz von Polizei und anderen Ordnungsmächten) Gegenstand von Kritik« ist. 3

Gerd Dembowski sieht im Fußball »ein historisch gewachsenes Ventil, in dem der kleine Hass des Alltags abgelassen« werde, in dem jedoch letztlich »die Hoffnung von Fans nach einer Kompensation des Alltags, nach einer Ersatzfreiheit enttäuscht« werde. 4 Der linke Zeitgeist ab den 1960er Jahren kam nicht in den Fußballstadien an. Dort in den Fanblöcken sammelten sich oft die, denen Hippies und »Gammler« ein Gräuel waren. Als antiautoritär und rebellisch galten manchen Fans ein Nazi-Jargon und wüste Drohungen gegen »Zigeuner«, Juden und alles Nichtdeutsche. Es sollte bis in die 1990er Jahre dauern, bis diese rechte Hegemonie teilweise aufgebrochen werden konnte. Bis heute bietet Fußball – ähnlich wie manches Rockkonzert – den Freiraum für eine provokative Antimoral. Fans des 1. FC Kaiserslautern singen: »Wir lieben dicke Titten und den Suff, wir gehen dreimal täglich in den Puff. Und wenn der Waldhof brennt ist alles klar, da war’n die Lautrer wieder da.« Teile der Ultra-Bewegung und manche Fan-Initiativen setzen heute andere Akzente. Die von ihnen getragene Rebellion »gegen den modernen Fußball« ist nicht nur dem rückwärtsgewandten Beharren auf Traditionen verhaftet, sondern sie thematisieren Kommerz, Polizeigewalt und Repressionsstrategien, die an Fußballfans vorexerziert werden.

TrierHomo

Rechte Fußballfans verstehen unter Rebellion häufig die Auflehnung gegen angebliche Vorschriften einer »Political Correctness«. Dies geschieht unter anderem über provokative sexistische und Homosexuellenfeindliche Äußerungen. Im Kreis der Fangruppe Suburbia Rebels des SV Eintracht Trier wurden in der Vergangenheit auch extrem rechte Personen festgestellt. Das Spruchband  HOMO-FOTZEN« der Suburbia Rebels im Jahr 2011 richtet sich gegen Fans des FC 08 Homburg (HOM). Foto: http://deniz.blogs.rpi-virtuell.net/2011/05/12/homophobe-transparente-im-fusball

Die Entwicklung in den Stadien der DDR

Die Entwicklung rechter Fußballkultur in der DDR ist mit Westdeutschland nicht vergleichbar. Stadien in der DDR waren Orte, wo sich eine rechte Systemopposition als Masse formierte und artikulierte. Fans und Hooligans provozierten häufig mit Neonazi- Attitüden und suchten die Konfrontation mit der Polizei. Die rechten »Fußballrowdys« der DDR passten so gar nicht in das Weltbild des real existierenden Sozialismus und viele, die als Rädelsführer ausgemacht wurden, landeten im Gefängnis oder im Jugendarbeitslager. Doch dies radikalisierte die Szene weiter. Bei den Protesten 1989, die zum Untergang der DDR führten, hatten Hooligans Schlüsselpositionen. Ihre gewachsenen und gefestigten Strukturen sowie ihre Kampferfahrung schützten die Demonstrationen vor Übergriffen der Polizei. Wenngleich viele rechte Fans in den Folgejahren bürgerlich wurden, behielten sich ihre politischen Einstellungen bei und verblieben in den Stadien. Sie sind die Träger der »großen Erzählungen« von Widerständigkeit gegen das DDR -Regime und gelten bis heute auf den Rängen als Autoritäten. Exakt diese Kreise trugen im Herbst 2014 erheblich zur Formierung von PEGIDA in Dresden bei.

 

Die Klartext-Rebellion

Viele Personen in den von uns untersuchten rechten Lebenswelten verstehen sich als Meinungsrebell*innen. Das »Rebellische« wird darüber konstruiert, dass die Vertreter*innen für sich in Anspruch nehmen, Tabus anzupacken, Klartext zu reden und »unangenehme Wahrheiten« auszusprechen, die sich sonst niemand trauen würde, zu sagen. Auch dies verschränkt sich mit dem Agieren gegen Political Correctness, »Gutmenschen« und deren angebliche »Meinungsdiktatur«. Hier finden sich auffallende Parallelen zwischen Neonazis, Thilo Sarrazin, PEGIDA und Frei.Wild. So ist es den Bands trotz kommerzieller Erfolge möglich, sich als »unbequeme Minderheit« zu inszenieren. Dies geschieht gemeinhin in der Diktion: »Wir werden geächtet (also: sind Rebellen), nur weil wir Wahrheiten aussprechen.« Dieses Prinzip wird im Wesentlichen vom Zusammenspiel von Selbstminimierung und Selbstmaximierung, Opferstilisierung und Selbsterhöhung getragen. Die neonazistische Band Kategorie C – Hungrige Wölfe veröffentlichte Ende 2014 den Song »Hooligans gegen Salafisten«, der als Hymne für das gleichnamige Hooligan -Netzwerk (HoGeSa) konzipiert war. Das Lied wird eingeleitet durch die Textzeilen: »Die Schattenwelt in der BRD wird von Allahs bärtigen Männern regiert. Sharia-Polizei und Ehrenmord, keiner stoppt den Wahnsinn, in der Presse kein Wort.« Deutlich wird der schizophrene Charakter: Bei den angeblichen Tabus handelt es sich in der Regel um Themen und Meinungen, die gesellschaftlich breit verhandelt werden. Das Tabu muss erst konstruiert werden, um den Tabubruch zu inszenieren. Der »Gutmensch« muss erst erfunden werden, um ihn als Feindbild zu kultivieren.

1 Martin Büsser, Wie klingt die Neue Mitte, Mainz, 2001, S. 81
2 Vgl.: www.die-macht-der-medien.de (mittlerweile offline)
3 Almut Sülzle: Fußball, Frauen, Männlichkeiten, Frankfurt / New York, 2011, S. 123
4 Vgl.: www.gerd-dembowski.de/?page_id=40

 

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