Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Heimatbezogenheit:
»Dies ist unsere Heimat, mit ihr sind wir verschworen«

Heimat kann vieles sein: Ort der Herkunft, der Sozialisation, der Familie, der Freund*innen, des gegenwärtigen Sozialraums oder des Rückzugs. Heimat stellt den Ort subjektiv empfundener Zugehörigkeit und einen Teil der eigenen Identität dar. Heimat wird in der Regel als Ort verstanden, an dem das Individuum nicht in Frage gestellt wird und sich selbst nicht in Frage stellen muss. »Heimatgefühle« sind Ausdruck des Bedürfnisses nach Geborgenhe it und Sicherheit. Aufgrund der Interpretierbarkeit lässt sich Heimat nicht pauschal in einen rechten Zusammenhang stellen. Im rechten Denken ist der Begriff Heimat omnipräsent. Im völkischen Verständnis ist Heimat mit Nation und (Bluts-)Volk gleichgesetzt. Die Imagination von »Volk« und »Volksgemeinschaft« ist der dezidierte Gegenentwurf zu »Gesellschaft«. Der Mensch habe – sofern er seinem »wahren« Wesen nicht entfremdet sei – eine »natürliche«, symbiotische Beziehung zu Volk und Heimat. Der unmittelbare Sozialraum (Dorf, Stadtteil) wird als »Organ« im »Volkskörper« verstanden. Je geschlossener das (extrem) rechte Weltbild ist, desto exklusiver werden Heimat, Volk und Nation konstruiert, desto stärker wird »Heimat« pathetisch und mythisch aufgeladen und zur emotionalen Bezugsgröße.

In der (extremen) Rechten bestimmen drei miteinander verflochtene Motive den Heimatbegriff:

  • Heimat als Blut-und- Boden-Mythos (Völkische Heimatkonstruktion),
  • Heimat (synonym zu Volk) als Schicksalsgemeinschaft,
  • Heimat als Territorium (Herrschaftsgebiet männerbündischer Kampfgemeinschaften).

Mit dem rechten Verständnis von Heimat geht einher, dass restriktive und als unveränderbar gesetzte Kriterien über die Zugehörigkeit zur und die Teilhabe an der Heimat bestimmen. Daraus erwächst zwangsläufig die Praxis von Unterordnung, Unterwerfung und Ausschluss derer, die als nicht dazugehörig gelten.

Das Heimat-Verständnis in rechten Lebenswelten

In den rechten Lebenswelten taucht der Bezug zur Heimat immer wieder auf. Die Anschlussfähigkeit des hier benutzten Heimatbegriffs zu (extrem) rechten Ideologien stellt sich her:

  • wenn Heimat stärker über Exklusion, denn über Inklusion festgelegt wird,
  • wenn die »Bewahrung« der Heimat zu einem prägenden Denk- und Handlungsprinzip wird,
  • wenn Heimat als homogene Gemeinschaft konstruiert wird,
  • wenn Heimat als etwas Statisches und Natürliches empfunden wird,
  • wenn Heimat romantisiert, mythifiziert und pathetisch aufgeladen wird,
  • wenn die Zugehörigkeit des Individuums zur Heimat und gleichberechtigte Teilhabe anhand der Kriterien von Abstammung und/oder ethnischer Zuordnung bestimmt wird,
  • wenn von als »fremd« definierten Menschen zur Erlangung von Zugehörigkeit und Teilhabe eine Assimilierung und Erbringung besonderer Leistungen verlangt werden.

 

Völkische Heimatzeichnungen

Bei der Südtiroler Deutschrock- Band Frei.Wild erfährt »Heimat« trotz Ablehnung von Faschismus und Nationalsozialismus eine völkische Besetzung. Im Lied »Wahre Werte« heißt es:

»Da wo wir leben, da wo wir stehen, ist unser Erbe, liegt unser Segen. Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache [...] Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen, selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen. Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen? Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen. Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen, denn deine Kinder werden später drauf bauen. Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat, ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk [...] Nicht von gestern, Realisten, wir hassen Faschisten, Nationalsozialisten. Unsere Heimat hat darunter gelitten, unser Land war begehrt, umkämpft und umstritten. Patriotismus heißt Heimatliebe, Respekt vor dem Land und Verachtung der Kriege. Wir stehen hier, mit unseren Namen, wir werden unsere Wurzeln immer bewahren.«

Der Bezug auf Wurzeln, Erbe und – in anderen Frei.Wild-Songs – auf »unsere Ahnen« verdeutlicht, dass die Band keinen Bezug zur politischen Kategorie des »Staatsvolk« hat, sondern im Gleichklang von Volk und Heimat eine Gemeinschaft beschreibt, die vor allem durch Abstammung verbunden sei. Der Mensch könne ohne Verwurzelung mit seiner Heimaterde keine Zugehörigkeit finden. Die behauptete Analogie von Mensch und Baum ist Beispiel eines Biologismus. Verknüpft werden diese Aussagen mit der apokalyptischen Vision vom Untergang des »Volkes«, sollte es diese »wahren Werte« verlieren.

Patriotismus und Nationalismus 

Was in der Textzeile »Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen? Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen« anklingt, formuliert Frei.Wild in ihrem Song »Südtirol« weitaus deutlicher:

»Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist. Darum holt tief Luft und schreit es hinaus, Heimatland wir geben dich niemals auf.«

Das Heimatland erfährt eine Heiligsprechung und darüber mythische Überhöhung. Hier endet die von Frei.Wild eingeforderte Meinungsfreiheit: Kritik an der Heimat wird nicht geduldet. Das sind Metaphern eines radikalen Nationalismus.

Frei.Wild verstehen sich dennoch nicht als nationalistisch, sondern »nur« als patriotisch. Das Bekenntnis zum Nationalismus findet sich in rechten Lebenswelten jenseits extrem rechter Gruppen nur selten: Es ist zu politisch aufgeladen. Stattdessen wird auf den Terminus des Patriotismus zurückgegriffen. Insbesondere Sportpolitik, Sportverbände und viele Medien vermitteln die Illusion, dass zwischen einem angeblich »weltoffenen« Patriotismus und Nationalismus getrennt werden könne, beziehungsweise, dass positiver Patriotismus Nationalist*innen ausgrenzen würde. Doch die Realität sieht anders aus. Zur WM 2014 lag einer Ausgabe des Jugendmagazins Bravo Sport ein Türschild mit dem Aufdruck bei: »Hier jubelt Schland! Alle anderen raus!«. Das Signalwort des Party-Patriotismus »Schland« wird darin mit einer unmissverständlich ausgrenzenden Botschaft verbunden.

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Aus dem Musikvideo »Wahre Werte« der Südtiroler »Deutschrock«-Band Frei.Wild: Naturidylle und die ihr »zugehörigen« Menschen sind der Inbegriff von »Heimat«. Die Frage, wer als »Beschützer und Bewahrer« gilt, ist politisch aufgeladen: Ein junger Mann salutiert vor einem Gedenkstein, welcher der rechten Terrorgruppe »Befreiungsausschuss Südtirol« gewidmet ist.

 

Gerd Dembowski schreibt im Buch »Zurück am Tatort Stadion«: »Die deutlich aggressivere Variante des Nationalismus und seiner diskriminierenden Folgen schien auf dem langen Weg zum WM-Gewinn 2014 zumindest optisch wieder stärker mit dem weichen Jubeln für das deutsche Team zusammenzufinden. Auf Schnappschüssen wird vor dem WM-Finale 2014 eine argentinische Fahne unter dem Jubel der Umherstehenden angezündet und Brasilien in Form einer braunfarbenen Sexpuppe präsentiert, die geschmückt von einem Deutschlandhut willig vor den Siegern kniet.« 1

In derartige Aussagen und Symbolik verbindet sich nationalistischer Überlegenheits-Dünkel mit rassistischen und sexistischen Aussagen. Während der Siegesfeier auf der Berliner Fanmeile nach dem Gewinn der WM 2014 führten deutsche Nationalspieler den sogenannten »Gaucho-Tanz« auf, der den unterlegenen Finalgegner Argentinien in respektloser Weise verhöhnte. Sie lieferten damit extrem rechten Hooligans eine choreografische Stilvorlage. Auf Auftritten von PEGIDA und deren Ablegern inszenieren sich Gruppen aus dem Spektrum der Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) mit diesem Tanz. Lediglich die »Gauchos« werden im dazu gesungenen Text durch andere Gegner, beispielsweise die Antifa, ersetzt.

Heimat als Schicksal

Die Band Split Image aus dem Raum Paderborn singt in ihrem »Ostwestfalen-Lied«:

»Auf diesem Flecken Erde sind wir nun mal geboren, dies ist unsere Heimat, mit ihr sind wir verschworen. Und es ist ein Segen, das uns nicht jeder mag, denn zwischen Lichtenau und Espelkamp wohnt ein besonderer Menschenschlag. [...] Wir wollen hier nicht weg von der Wiege bis zur Bahre, will ich stolz verkünden: Ich bin Ostwestfale.«

Auch hier wird eine Zugehörigkeit zur Heimat behauptet, die von Geburt an und für immer bestehen würde. Weiter klingt eine im Deutschrock typische Diktion von Heimat an: Die Schicksalsgemeinschaft der Zu-Kurz-Kommenden. Die Heimat wird in der Regel beschrieben als Leidtragende »fremder« Begehrlichkeiten und Überheblichkeit, gegen die es sich gestern wie heute zu behaupten gelte. Was das Leben zwischen Lichtenau und Espelkamp als etwas Besonderes und Rebellisches aufwertet. Die Heimat wird erneut zur Folie des Selbstbildes von Größenwahn und Verfolgungswahn. Ob als Heimat der lokale Lebens- und Sozialraum, der Landschaftsraum oder ein historisches Gebiet festgelegt wird, es findet sich in deren Beschreibung fast immer die positive Herausstellung angeblicher Eigenarten und Besonderheiten der dort lebenden, beziehungsweise dort angestammten Menschen. Die Attribute, die das Individuum sich selbst und »seinen« Mitmenschen zuschreibt, sind mehrheitlich männlich konnotiert: Schlagkräftigkeit, Trinkfestigkeit, Widerspenstigkeit, Unbeugsamkeit, Bodenständigkeit, Ehrlichkeit.

Die Dresdener Band Dolly D versteht sich explizit als Band von und für Fans des Fußballvereins SG Dynamo Dresden. Sie bewegt sich seit ihrer Gründung 1994 an der Schnittstelle zwischen rechtsoffenen und extrem rechten Fußballfans, betont jedoch ihren »unpolitischen« Charakter. Eines ihrer bekanntesten Lieder ist der Partysong »Jungs von der Elbe«, der bereits 1995 auf einem von Neonazis produzierten »Sachsensampler« veröffentlicht wurde. Die darin enthaltene Beschreibung, was die sächsische Heimat außergewöhnlich und vorzeigbar macht, lässt sich auf der »unpolitischen« Fußballfan-Party und auf einem neonazistischen Musiksampler gleichermaßen präsentieren. Im Refrain des Liedes heißt es:

»Wir sind die Jungs von der Elbe, sind Sachsen und stehen unseren Mann. Hier wird das beste Bier gebraut und unsere Mädchen sind die Schönsten im Land.«

Neben Dolly D und der sich ebenfalls »unpolitisch« nennenden Band Roials (Dresden) trugen vier dezidiert neonazistische Bands Lieder zum Sampler bei. Verbindendes Thema dieser Musikproduktion und der darauf enthaltenen Lieder ist die Heimat Sachsen.

Territoriums- und Heimatschutz 

Bands wie Dolly D und KrawallBrüder sind gleichermaßen mit Musikszenen und Fußballszenen verbunden. Die KrawallBrüder zählen zu den erfolgreichsten Bands des Deutschrock/Oi. Sie singen in ihrem Lied »Saarland«:

»In unserem schönen Vaterland, dem Saarland, leben wir, fortan seit unserer Geburt mit literweise Bier [...] Was immer auch geschehen mag, wir werden niemals von dir gehen. Wir werden bis in alle Ewigkeit zu unserem Saarland stehen.«

In ihrem Song »Troublemaker Germany«, der insbesondere im Spektrum von Fußball-Hooligans beliebt ist, heißt es:

»Für den Moment gehört uns diese Stadt allein. Wir nehmen Weiber, Bier, alles, was ihr zu bieten habt. Wir sind die ungekrönten Könige der Stadt. [...] Vereint, voller Wut und stark wie nie, wir sind die Troublemaker Germany.«

Territorium (Stadt), Region (Saarland) und Nation (Germany) bilden im Kosmos der KrawallBrüder-Lyrik einen Identitätspool von Heimat. Diese wird beschrieben als Herrschaftsgebiet der männerbündischen Kampfgemeinschaft und ihrer »ungekrönten Könige«, die für sich in Anspruch nehmen, nach Belieben über »andere« Menschen zu verfügen. Der Topos des Territoriums, dass es zu erobern oder zu verteidigen gilt, findet sich häufig in Liedern und Choreografien rund um den Fußball – stets verbunden mit dem Selbstbild soldatischer und kriegerischer Männlichkeit. So zum Beispiel in einem Gesang, der unter Magdeburger Fußball- Fans überaus populär ist:

»Auf geht’s ihr blauweißen Krieger, auf geht es in die Schlacht. Wir kämpfen mit erhobenen Fäusten für unsere Festungsstadt!«

Provozierende Gesänge und Gesten der Gästefans, wie sie an Fußball-Spieltagen üblich sind, werden als Verletzung des eigenen Territoriums und als (drohender) Machtverlust wahrgenommen. So wird die Heimat zum Raum, der auch körperlich verteidigt werden muss. Die fordert gruppenübergreifenden Zusammenhalt. Die Schlägereien, die von Medien und Vereinsführungen in der Regel als »sinnlose Gewalt« verurteilt werden, sind darum für viele der daran Beteiligten nicht nur sinnstiftend, sondern werden von ihnen als absolut notwendig begriffen. In ihrem Verständnis der »Heimatverteidigung« finden sich – nicht nur beim Fußball – »unpolitische«, rechte und neonazistische Akteur*innen inhaltlich wie strukturell zusammen.

1 Gerd Dembowski, Schwarz-Rot-Gold geschminkt, in: Zurück am Tatort Stadion, Göttingen 2015 

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