Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Antiziganismus: »Zick Zack Zigeunerpack«

Die Untersuchungen der Universität Bielefeld zu »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zeigen, dass im Jahr 2011 über 40 Prozent der Befragten der deutschen Bevölkerung Negativzuschreibungen über Sinti und Roma zustimmten. Ähnlich hohe Zustimmung erfuhren allenfalls Sozialchauvinismus und Etabliertenvorrechte – gerade damit ist Antiziganismus aufs Engste verbunden.

Die Hetze gegen Menschen aus Bulgarien oder Rumänien bedient sich häufig des Repertoires des Antiziganismus. Die 2015 aktuellen politischen Diskussionen um eine angebliche Belastung der Gesellschaft durch Geflüchtete aus Südosteuropa machen antiziganistische Einstellungen in öffentlichen Räumen – auch in den Stadien und auf Konzerten – für eine breite Mehrheit noch akzeptabler.

Gegenmodell zur eigenen Identität

Sinti und Roma dienen in nahezu allen europäischen Ländern als Gegenmodell zum eigenen Lebensstil, der als »anständig« und »zivilisiert« bewertet wird. Jan Tölva verweist in einem Beitrag in »Zurück am Tatort Stadion« auf die historisch starke Wechselwirkung zwischen Antisemitismus und Antiziganismus in Deutschland: »›Zigeuner‹ gelten wie ›Juden‹ als modellhaft fremd und dienen einer Mehrheitsgesellschaft immer wieder als Projektionsfläche für eigene Wünsche und Ängste. Beiden Gruppen wurde im Laufe der Geschichte immer wieder vorgeworfen, sie seien ›vaterlandslos‹ und aufgrund ihrer Landesgrenzen überschreitenden Verbindungen nicht recht vertrauenswürdig.« 1 So bestimmen zwei Motive den Antiziganismus: Die Ansicht, Sinti und Roma seien heimatlos und würden einen parasitären Lebensstil pflegen. Brigitte Mihok und Peter Widmann beschreiben in einem Beitrag in »Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit« die Widersprüchlichkeit antiziganistischer Denkfiguren: »Neben solchen negativen Stereotypen verbinden viele Menschen mit dem Wort ›Zigeuner‹ das, was ihnen in der modernen Leistungsgesellschaft fehlt: Freiheit und Naturverbundenheit, ein Leben auf der Reise, Zusammenhalt in der Gruppe, Musikalität, Magie und Geheimnis. In der Vorstellungswelt der Bevölkerungsmehrheit verkörpert der ›Zigeuner‹ Gefahr und Idylle zugleich.« 2

So steckt in der flapsigen Begrüßung eines lange nicht gesehenes Freundes: »Na, du alter Zigeuner bist auch mal wieder hier«, durchaus Ambivalenz – einerseits (heimliche) Bewunderung für dessen unabhängig scheinenden Lebensstil, andererseits ein ermahnender Unterton, der der angesprochenen Person nahelegt, sozial verbindlicher zu sein.

Leitmotiv: Der »heimat­lose Zigeuner«

Antiziganismus erfährt in den Fußballstadien in der Regel weniger Widerspruch als beispielsweise rassistische Beleidigungen gegen nicht-weiße Spieler. Tölva sieht darin eine »ungeschriebene Rangfolge der Diskriminierungsarten, wobei die Menschen in den Stadien, sobald ihnen eine Form der Diskriminierung untersagt wird, auf die nächst darunterliegende zurückgreifen.« 3

Sprechchöre wie »Zick Zack Zigeunerpack« sind bei Fußballspielen immer wieder zu hören. Sie richten sich gegen gegnerische Fans und Teams und insbesondere gegen Spieler, die nach einem Vereinswechsel auf Fans ihres ehemaligen Vereins treffen. Die Benennung als »Zigeuner« meint die Gleichsetzung mit »Verräter«. Hier kommt das zweite Hauptmotiv des Antiziganismus zum Tragen: Die Vorwürfe von »Heimatlosigkeit« und damit verbundener Illoyalität und Ehrlosigkeit. Antiziganistische Schmähungen dienen im Umkehrschluss dazu, das Selbstbild als bodenständige, treue und ehrbare Gruppe zu festigen.

Leitmotiv: Der parasitäre »Zigeuner«

Sinti und Roma, bzw. die dafür gehaltenen, trifft häufig die pauschale Unterstellung von fehlenden Arbeitsethos, Leistungsverweigerung und dem »faulen Leben in der sozialen Hängematte«. Der Vorwurf eines parasitären und schmarotzenden Lebensstils findet sich – so führt das »Methodenhandbuch zum Thema Antiziganismus« aus – »in nahezu allen Vorurteilen darüber, wie ›Zigeuner‹ ihren Lebensunterhalt bestreiten: Betteln, Stehlen, Wahrsagen, Musizieren, Hausieren, Sozialbetrug. Allen diesen Vorstellungen ist gemein, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die nicht als ›richtige Arbeit‹ angesehen werden und welche die anderen um ihre Arbeitsprodukte bringen.« 4

Die The 4-Skins, eine englische Oi-«Kultband« der frühen 1980er Jahre, veröffentlichten 2010 das Lied »Take no more« mit den Textzeilen:

»Immigrants overrun our land, Benefits office with an outstretched hand. Competing for our homes and jobs, begging in their gypsy mobs. ­
Our country is full, fear the worst. Shouldn’t we put our own people first?« 5

Auf Kritik an diesem Text erwiderten die The 4-Skins, das Thema zähle nun einmal zu den »Fragen, welche die Briten derzeit am meisten bewegen«, und sie betonten, dass sie sich als »not a political band« verstünden. 6

Die Internetseite »Zeit Online« berichtete im Mai 2015 von einem Konzert der Band Frei.Wild: »Als Ende März in dem kleinen Örtchen Pahlen in Schleswig-Holstein eine Initiative gegen Rechts vor der Konzerthalle protestierte, flogen Flaschen auf die knapp 50 Jugendlichen. Andere Frei.Wild-Zuschauer riefen ›Zick, zack, Zigeunerpack‹ und einen Klassiker aus der Neonaziszene: ›Eine U-Bahn bauen wir, von Pahlen bis nach Auschwitz‹«. 7 Die Erfahrung aus Pahlen kann nicht dazu dienen, der Band Frei.Wild (auch noch) Antiziganismus vorzuwerfen, tatsächlich sind keine Texte und Interview-Aussagen der Band bekannt, in denen sie sich gegen Sinti und Roma wenden. Doch das Beispiel zeigt, dass auch Antiziganismus von einem lautstarken Teil ihrer Fans aktiviert wird, wenn diese unmittelbar mit Gegner*innen konfrontiert sind.

1 Jan Tölva, »Zick, Zack, Zigeunerpack«, in: Zurück am Tatort Stadion, 2015, Göttingen, S.103
2 Brigitte Mihok, Peter Widmann, Sinti und Roma als Feindbilder, in: Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit, S.212
3 Tölva, S.102
4 Markus End, Die Wirkungsweise der antiziganistischen Vorurteilsstruktur, in: Methodenhandbuch zum Thema Antiziganismus, 2014, Münster, S.29
5 Sinngemäß übersetzt: »Einwanderer überrennen unser Land, Sozialämter geben ihnen Geld mit ausgestreckter Hand*. Sie konkurrieren mit uns um Wohnungen und Jobs, betteln in ihren Zigeunerhorden. Unser Land ist voll, stell dich auf das Schlimmste ein. Sollten wir uns nicht zuerst um unsere eigenen Leute kümmern?« [* Benefit Office bezeichnet in England ein Amt, das für Geldzuweisungen an Bedürftige zuständig ist.]
6 Eine Kritik an den The 4-Skins sowie Stellungnahmen der The 4-Skins und des »unpolitischen« deutschen Labels Randale Records, welches den Song »Take no more« produzierte, sind nachzulesen bei: www.antifainfoblatt.de/artikel/dem-skinhead-kult-treu#footnote24_jj20noa
7 Johannes Radke, Die neue Reichskapelle, in: Zeit Online, 10.05.2012

Tipps zum Weiterlesen:

Wulf D. Hund (Hg.): Fremd, faul und frei – Dimensionen der Zigeunerstereotyps, Edition des DISS, Unrast Verlag, Münster 2014

Methodenhandbuch zum Thema Antiziganismus für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit     2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Alte Feuerwache e.V. (Hg.), ISBN 978-3-89771-571-4, Unrast

Meine 7 000 Nachbarn Ein tolles Buch über (geschätzte 7.000) Roma in Berlin, ihren Alltag, ihre Sorgen und die Vorurteile und Ausgrenzungen, mit denen sie zu kämpfen haben. Dieses kleine Buch erklärt mehr als manches Sachbuch zum Thema. 

Antiziganismus – Rassistische Stereotype und Diskriminierung von Sinti und Roma. Grundlagen für eine Bildungsarbeit gegen Antiziganismus. Herausgegeben im Auftrag des IDA e. V., ISSN 1616-6027

 

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