Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Antisemitismus: 
»Die Juden haben mal wieder die Schiedsrichter gekauft.«

Als prädestiniertes Beispiel für Antisemitismus in Fußball-Fanszenen gilt das sogenannte U-Bahn-Lied:

»Wir bauen eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von [hier wird die gegnerische Stadt oder der gegnerische Stadtteil genannt] bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir.«

In vielen Fan-Kurven erfährt dieser Singsang mittlerweile Widerspruch und wird unterbunden. Abseits der Arenen, beispielsweise auf der An- und Abreise in Bussen und Bahnen, zählt er nach wie vor zum Repertoire auch von Fangruppen, die sich nicht als rechts verstehen. Am 12. August 2014 stand ein Fußballfan aus Sachsen vor dem Amtsgericht in Frankfurt am Main, da er bei einem Gastspiel seines Clubs in Frankfurt dieses Lied gesungen hatte. Dies brachte ihm eine Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung ein. Der Fan vermochte in dem Lied keine Verfehlung zu sehen und führte aus, dass seine Gruppe dieses Lied zuvor schon »tausendmal« gesungen und dafür nie Konsequenzen erfahren habe.

Gegen die »Judenclubs«

Als Orte, in denen antisemitische Erzählungen über Generationen weitergetragen werden, spielen Fußballplätze eine weitaus größere Rolle als Musikszenen. Die Vereine und Fans von Bayern München, Eintracht Frankfurt, SG Dynamo Dresden, BFC Dynamo Berlin und FC Carl Zeiss Jena erfahren häufig Beschimpfungen als »Judenclubs«. Tatsächlich prägten bei Eintracht Frankfurt und Bayern München jüdische Sportler, Offizielle und Gönner die Vereinsgeschehen in der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Beide Vereine standen und stehen in starker lokaler Konkurrenz zu den »Arbeitervereinen« Kickers Offenbach und 1860 München. Unter Offenbach-Fans hält sich die Benennung von Eintracht-Frankfurt-Fans als »Judenbube« bis heute.

CottbusDresden

Antisemitisches Transparent Cottbusser Fans, gerichtet gegen Dynamo Dresden im Jahr 2005. Foto: BAFF

Die Beschimpfung als »Judenclub« ist jedoch nicht »nur« Ausdruck eines aus der Vorkriegszeit und dem Nationalsozialismus tradierten Antisemitismus. Auch SG Dynamo Dresden (gegründet 1953), BFC Dynamo Berlin (gegründet 1966) und FC Carl Zeiss Jena (gegründet 1966) wurden und werden im Bereich der Ex-DDR vielfach als »Judenclubs« angefeindet. Berlin und Dresden waren »Lieblingsvereine« der Staatsführung der DDR, der Jenaer Verein wurde vom Unternehmen Carl Zeiss subventioniert. Alle drei Vereine hatten den Ruf, von den »Mächtigen« protegiert, mit besseren finanziellen Mitteln ausgestattet und – so lauten die Erzählungen – selbst von den Schiedsrichtern stets bevorteilt zu werden. Ihnen wurde vorgeworfen, sich durch ihre Kapitalkraft und Lobby unlautere Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Assoziation mit »Judenclubs« funktioniert noch 25 Jahre nach Auflösung der DDR.

DresdenRostock

Die Schmähungen als »Juden« bzw. »Judenclub«, die der eigene Verein erfährt, halten Fans der SG Dynamo Dresden nicht von antisemitischer Hetze ab. Die Figur auf dem Transparent am Dresdner Block soll einen Fan des FC Hansa Rostock darstellen. Dieses Foto wurde von den Ultras Dresden selbst verbreitet.

 

Die Behauptung und Anfeindung der »Judenclubs« basiert auf einer Gegensatzkonstruktion, die auf »klassischen« Elementen des Antisemitismus aufbaut: Auf der eigenen Seite steht der angeblich bodenständige, in Stadt(-teil) und Milieu verwurzelte Verein, der »ehrlichen« Sport bietet. Dieser ist die Projektionsfläche des »kleinen Mannes«, der mit ehrlicher Arbeit produktiv (schaffend) ist, sich dennoch deklassiert fühlt und sich im ungleichen Kampf gegenüber angeblich reichen, unfairen und heimatlosen »Mächten« behaupten muss. Der »Judenclub« bzw. das »Judenpack« wird darüber auch oft zu einem tragenden Motiv im Komplex von Größenwahn und Verfolgungswahn.

Antisemitische Anfeindungen im Spielbetrieb

Der Berliner Verein TuS Makkabi entstand 1898 unter dem Namen »Bar Kochba« als jüdischer Verein. Er wurde im Nationalsozialismus verboten und 1970 als TuS Makkabi neu gegründet. Obwohl der Verein für Menschen aller Herkunft und Religionen offen ist und auch muslimische und katholische Kicker*innen zu seinen Aktiven zählt, macht ihn sein historischer Bezug zum Ziel antisemitischer Anfeindungen. Ein Spieler berichtet, dass es öfter Sprüche zu hören gäbe wie »Jaja, die Juden haben mal wieder die Schiedsrichter gekauft.« Die Bitte um eine Eintrittsspende bei Heimspielen des TuS Makkabi hätte öfter Bemerkungen zur Folge wie: »Euch geben wir nichts, ihr braucht ja kein Geld.«

Der gegen den TuS Makkabi Berlin gerichtete Antisemitismus zeigt sich jedoch nicht nur in der oft subtilen Stereotypisierung vom wohlhabenden und raffgierigen Juden. Spieler und Fans des TuS Makkabi Berlin sind auch direkten Beleidigungen und tätlichen Angriffen ausgesetzt. So wurden im Jahr 2015 mehrere Spiele abgebrochen, nachdem diese u.a. als »Drecksjuden« beleidigt, bedroht und attackiert wurden.

Sekundärer Antisemitismus

Auf ihrer CD »Feinde deiner Feinde« aus dem Jahr 2012 thematisiert Frei.Wild die angebliche »Hetze« gegen die Band gleich in mehreren Songs. In »Wir reiten in den Untergang« wird die Kritik an der Band mit der antisemitischen Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus gleichgesetzt bzw. als eine Vorstufe dessen beschrieben. Sie singen:

»Nichts als Richter, nichts als Henker, keine Gnade und im Zweifel nicht für dich. Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr und schon wieder lernten sie es nicht. […] So so so so so fing alles an und wir reiten wieder in den Untergang.«

Mit dieser Gleichsetzung bedient Frei.Wild eine gängige Argumentation des sekundären Antisemitismus und der Relativierung des Holocausts. Der Vergleich erscheint umso infamer, da das Album »Feinde deiner Feinde« keinen Verboten unterlag und an die Spitze der deutschen Albumcharts gelangte.

Der Song »Gutmenschen und Moralapostel« beginnt mit den Textzeilen:

»Es gibt nur ihre Meinung und sie denken nur schwarz-weiß. Sie bestimmen was gut, was böse ist, sie sind das, worauf ich scheiß’. Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen. Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen.«

Im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus reagierte Frei.Wild-Frontmann Philipp Bur­ger auf die Frage, wer gemeint sei, zunächst ausweichend: »Das sind ganz normale Worte, bei denen sich vor allem scheinheilige Menschen auf den Schlips getreten fühlen«, um dann auf erneute Nachfrage zu konkretisieren: »Ich meine Journalisten, ­die nicht für die Wahrheit, sondern für die Quote schreiben.« (› Für Meinungsfreiheit / Gegen »Gutmenschen«). Egal, wer tatsächlich gemeint ist: Der Liedtext funktioniert objektiv antisemitisch, da die dazu entwickelten Assoziationen dem Repertoire antisemitischer Ideologie entnommen sind. Tatsächlich verknüpfen sich in dieser Medienkritik von Frei.Wild populäre antisemitische Klischees. Der Antisemitismus der vergangenen Jahrzehnte wird getragen von der Behauptung, dass die (heimatlosen) Jüd*innen die »Völker« gegeneinander ausspielen und diese gegeneinander aufhetzen würden, um ihre (Welt-)Herrschaftsinteressen durchsetzen zu können, und von der Unterstellung, Jüd*innen würden aus ihrer Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus fortwährend Kapital schlagen und wären deshalb daran interessiert, keinen Schlussstrich unter die NS-Zeit zu ziehen. Offen bleibt, ob im Liedtext »Gutmenschen und Moralapostel« das Arsenal des Antisemitismus bewusst oder unbewusst ausgebeutet wurde. Doch sollte dies auch nur unbewusst geschehen sein, so wäre dies ein Beispiel dafür, wie verfestigt und reproduktionsfähig antisemitische Klischees im gesellschaftlichen und kulturellen Milieu von Frei.Wild sind.

Antisemitische Denkmuster

In der Ablehnung der Vereine SG Hoffenheim und RasenBallsport Leipzig sind die konkurrierenden Fanlager verschiedener Vereine oft einer Meinung. Eine Kritik daran, dass Fußballvereine wie RasenBallsport Leipzig als Werbeplattformen für Unternehmen aufgebaut und deren Vereinsstrukturen darauf ausgerichtet werden, ist nachvollziehbar und darf nicht als rechts und antisemitisch diskreditiert werden.

Kern der Anfeindungen an SG Hoffenheim und RasenBallsport Leipzig ist jedoch häufig die Behauptung, dass die Aufstiege dieser Vereine aus keinem »ehrlichen Wettbewerb« resultiert hätten, sondern nur durch die finanziellen Zuwendungen der Mäzene Dietmar Hopp (SAP) und Dietrich Mateschitz (Red Bull) ermöglicht worden seien. Daran anknüpfend wird ein Szenario entworfen, wonach etablierte »Traditionsvereine« durch »Retortenvereine« in ihrem Bestand bedroht würden. Diese ­»Retortenvereine« werden als Emporkömmlinge und Eindringlinge wahrgenommen.

Die Rolle des eigenen Vereins, der nach genau denselben kapitalistischen Prinzipien funktioniert, wird in dieser Kritik meist ausgeblendet. Eine Reflexion des eigenen Konsumverhaltens und eigener Erwartungen sportlicher Erfolge, die die Grundlage des kapitalistischen Wettbewerbs im Fußball bilden, findet kaum statt.

Diese stark verkürzte Kritik an der Kommerzialisierung und Kapitalisierung des Fußballs basiert auf »klassischen« antisemitischen Denkfiguren: Verschwörungstheoretische Elemente sowie ein Dualismus von Gut und Böse, der einen äußeren Feind ausmacht, diesen dämonisiert und personifiziert, und sich selbst als Opfer stilisiert.

Kontra Israel

Zu einem Skandal kam es am 26.April 2015 beim Spiel des damaligen Zweitliga-Tabellenführers FC Ingolstadt bei Union Berlin. Als Ingolstädter Fans zur Unterstützung des bei Ingolstadt spielenden Israelis Almog Cohen eine Israelfahne an den Zaun hängten, wertete dies ein Polizeiführer als »unerwünschte politische Aussage« und Verstoß gegen das politische Neutralitätsgebot. Ordner drängten daraufhin die Ingolstädter Fans, die Fahne zu entfernen. Almog Cohen berichtet, dass er auf die Frage, ob auch Fahnen anderer Länder verboten seien, von einem Ordner als Antwort bekommen habe: »No, only Jewish flag.« Die Berliner Polizei entschuldigte sich später für diese Fehlentscheidung. Konsequenzen für den ­Polizeiführer und die Ordner sind nicht bekannt.

2013 wurde bekannt, dass das Twitterprofil des Rappers Bushido eine Landkarte Palästinas zeigt, die ganz Israel für sich beansprucht. Dies muss als eindeutige Botschaft verstanden werden, in dem sich Bushido gegen das Existenzrecht Israels und gegen eine Zwei-Staaten-Lösung wendet.

Kritik aufgrund antisemitischer Aussagen traf in den vergangenen Jahren insbesondere die populären Ruhrgebiets-Rapper Fard und Snaga. In ihrem Lied »Contraband« von 2014 singen sie:

»Pro Mudschaheddin, pro Palestine, Kontra atomar, kontra USA, Ohne Punkt und Kommata, [...] Kontra Netanjahu, kontra Bush, Blair, Sarkozy, Kontra Korruption, kontra Rüstungsindustrie, Pro Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Che Guevara. Sie lieben Revoluzzer, doch fürchten sie die Intifada, […] Das hier ist nicht Berlin und du bist nicht bei der Fashion Week, das hier ist junge Wut gegen Politik aus Tel Aviv, […] Kontra Peace, kontra Tel Aviv, Pro Freiheit, kontra Politik, Kontra Abu-Ghuraib, kontra Parasit USA und Drohnenkrieg, Kollektiv, kontra Bilderberger, Volksverräter, Hintermänner. Und ja, pro Todesstrafe für Kinderschänder.«

Im Video zum Song, veröffentlicht auf der Plattform Youtube und mit über einer Million Zugriffen in 18 Monaten bis November 2015, wird das Publikum des Rap-Duos unter anderem als palästinensische Kämpfer mit Gewehren und Panzerfaust in Szene gesetzt.

Palästina

Screenshot aus dem Video »Contraband« der Rapper Fard und Sagna.

In einem Beitrag auf publikative.org greift der Politikwissenschaftler Floris Biskamp diesen Song auf und verweist auf zwei höchst problematische Motive, die sich dort und in manchen anderen Liedtexten des Rap finden: »Zum einen verschwörungstheore­tische Texte, in denen Politik und ­Gesellschaft insgesamt als Produkt finsterer Mächte und Geheimorganisationen dargestellt werden. Diese werden dann mal explizit mit Juden identifiziert, mal bleibt es beim Geraune über Freimaurer, Logen, Bilderberger oder andere Strippenzieher. Zum anderen sprechen deutsche Rapper immer wieder den Nahostkonflikt an, der dabei oft zu einer einseitigen völkermörderischen Unterdrückung friedlicher, hilf- und wehrloser Palästinenser durch bösartige Israelis umgedeutet wird. Sowohl die verschwörungstheoretische Deutung der Gesellschaft als auch die Dämonisierung und Delegitimierung Israels sind bekannte Ausdrucksformen antisemitischer Ideologie.« 1

Die Kritik am Liedtext »Contraband« von Fard & Snaga erschöpft sich jedoch nicht in deren Antisemitismus. Der Terminus der »Volksverräter« ist ebenso rechts besetzt wie die Forderung »Todesstrafe für Kinderschänder«.

1 Floris Biskamp, Deutscher Rap: Nicht jeder Rüpel ist ein Antisemit http://publikative.org/2014/03/29/deutscher-rap-nicht
jeder-ruepel-ist-ein-antisemit/ (Zugriff 14.11.2015)

Tipps zum Weiterlesen:

Der ewige Jude und die Generation facebook, Christian Hardinghaus, tectum, ISBN 978-3-8288-2936-7 

"Weltbild Antisemitismus", Handreichung der Bildungsstätte Anne Frank. Sehr lesenswert, beinhaltet auch Methoden.

Widerspruchstoleranz. Ein Theorie-Praxis-Handbuch zu Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Berlin 2013

 

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